„Nicht die Spaltung der Gesellschaft herbeireden“
Allianz für Weltoffenheit ‐ In Köln wird am Donnerstag der Kongress „Gemeinsam für gelebte Demokratie“ veranstaltet. Mit dabei sind unter anderen die Kirchen, der Zentralrat der Juden und Gewerkschaften. Zu den Teilnehmern gehört der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (50), der auch Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist.
Aktualisiert: 04.05.2017
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In Köln wird am Donnerstag der Kongress „Gemeinsam für gelebte Demokratie“ veranstaltet. Mit dabei sind unter anderen die Kirchen, der Zentralrat der Juden und Gewerkschaften. Zu den Teilnehmern gehört der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (50), der auch Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert er sich vorab zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zu Aufrufen aus der AfD zum Kirchenaustritt, zu Flüchtlingen und Antisemitismus.
Frage: Herr Erzbischof, wie ist es angesichts von Populismus und Extremismus aus Ihrer Sicht um den Zusammenhalt in Deutschland bestellt? Sehen Sie eine Spaltung der Gesellschaft?
Heße: Ich erlebe in Deutschland nach wie vor einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir sollten uns davor hüten, eine Spaltung der Gesellschaft herbeizureden. Zugleich darf man nicht außer Acht lassen, dass sich auch in unserem Land einige Menschen abgehängt fühlen. Sie finden ihre Anliegen im öffentlichen Diskurs nicht genügend berücksichtigt, nehmen ihre eigene Lage als prekär wahr und sehen Zuwanderung eher als Bedrohung denn als Chance.
Die für unsere Gesellschaft prägenden Kräfte stehen vor der Aufgabe, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen und den Wert eines freien, weltoffenen und demokratischen Gemeinwesens immer wieder aufs Neue zu verdeutlichen. Das wird auch ein zentrales Anliegen des Kongresses der „Allianz für Weltoffenheit“ am Donnerstag in Köln sein, an dem sich die Deutsche Bischofskonferenz beteiligt.
Frage: Welchen Beitrag kann die Kirche zu einem guten Miteinander leisten?
Heße: In „Evangelii gaudium“ ermutigt Papst Franziskus die Kirche dazu, „sich in den Dienst eines schwierigen Dialogs zu stellen“ und „neue kulturelle Synthesen zu schaffen“. Diesem Auftrag wissen wir uns in Deutschland in besonderer Weise verpflichtet: Wir sind Kirche in einer pluralen Gesellschaft. In unseren eigenen Kirchengemeinden finden wir einen Querschnitt gesellschaftlicher Strömungen und Prägungen. Einheit und Vielfalt miteinander zu verbinden, gehört gewissermaßen zu unserem kirchlichen Selbstverständnis.
Frage: Was sagen Sie zu den jüngsten Aufrufen aus der AfD zu Kirchenaustritten? Wie sehen die deutschen Bischöfe den Kurs der AfD?
Heße: Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes äußert sich die Kirche zu ethisch relevanten Fragen, üblicherweise aber nicht zu einzelnen Parteien. Mit ihren Forderungen und Programmen bestimmt jede Partei ihre Nähe zur Kirche selbst. Wenn aus einer Partei heraus zu Kirchenaustritten aufgerufen wird, dann ist das natürlich ein sehr klares Statement. So etwas spricht für sich selbst und muss von den Bischöfen nicht weiter kommentiert werden. Das Gleiche gilt für Äußerungen, die Menschen anderer Herkunft und Religionszugehörigkeit herabsetzen und Flüchtlingen ihre Schutzbedürftigkeit absprechen.
„Die für unsere Gesellschaft prägenden Kräfte stehen vor der Aufgabe, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen und den Wert eines freien, weltoffenen und demokratischen Gemeinwesens immer wieder aufs Neue zu verdeutlichen.“
Frage: Kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, wonach die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge in Deutschland abnimmt. Eine Bertelsmann-Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Skepsis gegenüber Migration wächst. Wie beurteilen Sie die Lage? Wie ist es um das Engagement der Kirchen beziehungsweise der Ehrenamtlichen in diesem Bereich bestellt?
Heße: Zunächst einmal finde ich es beeindruckend, dass sich seit dem Sommer 2015 – teilweise sogar schon länger – Tausende Initiativen unermüdlich für die Anliegen schutzsuchender Menschen einsetzen. Nach wie vor gibt es in Kirche und Zivilgesellschaft zahlreiche Ehrenamtliche, die sich mit viel Herzblut engagieren. Dass auf eine Phase der Begeisterung bisweilen auch eine Phase der Ernüchterung folgt, liegt in der Natur der Dinge.
Dazu kommt: Die Menschen machen die Erfahrung, dass das Zusammenleben nicht immer reibungslos funktioniert; dass echte gesellschaftliche Teilhabe ein mühsames Unterfangen ist. Zugleich berichten mir kirchliche Basisinitiativen, dass so manches politische Signal mit zur Entmutigung beiträgt. Wenn etwa gut integrierte Migranten abgeschoben werden, erleben dies ehrenamtlich Engagierte als Entwertung ihrer Arbeit. Wir haben es also mit mehreren unterschiedlichen Phänomenen zu tun, die skeptische Tendenzen insgesamt stärker werden lassen.
Frage: Manche Menschen sehen Taufen muslimischer Flüchtlinge kritisch und vermuten Kalkül. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Heße: Jeder, der sich Christus anschließen will, ist uns willkommen. Wie könnte es denn anders sein! Die Taufe setzt in der katholischen Kirche jedoch ein längeres Katechumenat voraus, also einen Prozess, in dem ein Mensch mit der Lehre und dem Leben der Kirche vertraut wird. Angesichts dieses Vorbereitungsweges, der in der Regel ein Jahr dauert, ist ein Missbrauch des Taufbegehrens, etwa um die Chancen in einem Asylverfahren zu erhöhen, auch so gut wie ausgeschlossen.
Frage: Wie ist Ihre Position in der Debatte über den Familiennachzug?
Heße: Aus kirchlicher Sicht ist die Einheit der Familie ein hohes Gut. Regelungen, die den Familiennachzug erschweren oder gänzlich verhindern, sind nicht nur ethisch fragwürdig, sondern schaden letztlich auch der Integration. Ich hoffe deshalb, dass die Einschränkung des Familiennachzugs im Falle von subsidiär Geschützten rasch wieder zurückgenommen wird.
Frage: Was sagen Sie zu den Ergebnissen einer jüngst vorgestellten Studie, wonach Juden einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland beklagen?
Heße: Die Bischöfe haben nie die Augen davor verschlossen, dass Zuwanderer aus dem Nahen und Mittleren Osten den in ihren Gesellschaften verbreiteten Antisemitismus zu uns mitbringen. In den Leitsätzen der Bischofskonferenz zum kirchlichen Engagement für Flüchtlinge ist ausdrücklich davon die Rede. Antisemitismus ist mit den Werten unseres Landes unvereinbar. Er muss bekämpft werden, gleichgültig aus welcher politischen oder religiösen Richtung er kommt. Gerade die gemeinsame Stimme der Religionen ist hier wichtig.
Ich bin deshalb froh, dass es Programme von Christen, Juden und Muslimen gibt, die Ressentiments und Hass überwinden helfen. Ein gutes Beispiel ist die Initiative „Weißt du, wer ich bin?“, in der sich Gläubige aller drei Religionen gemeinsam für geflüchtete Menschen engagieren und sich gegenseitig besser kennenlernen.
© KNA