Leselust und Lesefrust in Nigeria
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Leselust und Lesefrust in Nigeria

Nigeria ‐ Nigeria hat zahlreiche international bekannte Schriftsteller. Doch im Land selbst ist es schwierig, ihre Bücher zu lesen. Sie sind teuer und in ländlichen Gegenden kaum zu finden. Trotzdem boomt die Literaturszene.

Erstellt: 10.10.2017
Aktualisiert: 09.10.2017
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Nigeria hat zahlreiche international bekannte Schriftsteller. Doch im Land selbst ist es schwierig, ihre Bücher zu lesen. Sie sind teuer und in ländlichen Gegenden kaum zu finden. Trotzdem boomt die Literaturszene.

Juliet Odjegba kann sich nicht entscheiden. „Ich habe viele Lieblingsbücher“, sagt die junge Verkäuferin in Abujas kleiner Buchhandlung von Cassava Republic, einem der bekanntesten Verlage Nigerias. Vom Büchertisch nimmt sie schließlich „Longthroat Memoirs“ von Yemisi Aribisala – eine literarische Reise durch die unterschiedlichen kulinarischen Traditionen des Landes. Das Buch trifft den Geschmack der Kunden, da Nigerianer auf die Vielfalt ihrer Gerichte stolz sind.

Wer weniger mit Essen anfangen kann, dem empfiehlt Odjegba „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ von Lola Shoneyin, das auch ins Deutsche übersetzt wurde. Die Buchhändlerin hat noch zahlreiche weitere Tipps auf Lager. Doch Kunden, die zuhören, gibt es längst nicht immer. „Heute Morgen waren schon fünf da. Das ist eine ganz gute Bilanz“, sagt sie.

Dabei hat Nigeria zahlreiche international bekannte und geachtete Schriftsteller. Neben Chinua Achebe ist es vor allem Wole Soyinka, auch weil er der erste Afrikaner war, der 1986 den Literaturnobelpreis erhielt. Mit Nadine Gordimer und J.M. Coetzee folgten bisher nur zwei weitere. Beide stammen aus Südafrika. Der Kenianer Ngugi wa Thiong'o, seit Jahren als Favorit für den wichtigsten Literaturpreis der Welt gehandelt, ging am Donnerstag erneut leer aus.

Gerade in Nigeria macht aber auch eine ganze Reihe jüngerer Autoren von sich reden. In Lagos ist die Buchhandlung Quintessence bis auf den letzten Stuhl besetzt, als Toni Kan aus seinem neuen Buch „The Carnivorous City“ liest. Das Publikum, in dem Literaturjournalisten, Künstler und Autoren sitzen, wirkt interessiert. Die meisten kennen das Werk längst und diskutieren anschließend lange darüber.

„Ich war das glücklichste Kind“, sagt Toni Kan (46) später. „Mein Vater war Lehrer und hat Englisch und Französisch studiert.“ Aufgewachsen ist der Autor in einem Haus voller Bücher. Die Begeisterung war so groß, dass er Literaturwissenschaften studierte. „Im ersten Jahr bekamen wir eine Liste mit 48 Büchern. Davon habe ich 47 gelesen.“

Kan, dessen Arbeit mehrfach ausgezeichnet wurde, räumt jedoch ein: „Die Realität sieht meist anders aus. Menschen lesen nicht.“ Tatsächlich sind die beiden Buchhandlungen in Lagos und Abuja eine Ausnahme. Cassava Republic listet gerade einmal 33 Geschäfte in einem Land mit geschätzt 190 Millionen Einwohnern auf. Bücher lassen sich ansonsten noch an den Flughäfen der Provinzhauptstädte oder auf Märkten im Norden kaufen. Dort finden sich vor allem Exemplare auf Haussa, der wichtigsten Verkehrssprache der Region. Die Druckqualität ist schlecht, und viele Texte sind kaum redigiert.

Die hohen Preise schrecken viele Kunden ab. Bücher kosten oft zwischen 2.000 und 4.000 Naira (umgerechnet knapp fünf bis zehn Euro). Eine gewaltige Summe, wenn der Mindestlohn gerade einmal bei 18.000 Naira liegt. Doch auch für Lehrer oder Hochschuldozenten, die das Drei- oder Vierfache verdienen, bleiben Bücher ein Luxus.

Das könnte sich künftig ändern, hofft zumindest Nmadiuto Uche. Sie arbeitet seit einigen Wochen für Okadabooks. Dahinter verbirgt sich eine App, die der Nigerianer Okechukwu Ofili vor vier Jahren entworfen hat. Doch der Durchbruch hat gerade erst begonnen. Uche gehört zu den ersten Angestellten. Als Journalistin verfolgte sie die Anfänge, als Ofili die App noch in seiner Freizeit betrieb. „Das fand ich sehr attraktiv. Ob man nun in Kano in Nordnigeria lebt, oder in Oslo in Norwegen: Man kann Toni Kans Buch kaufen.“ Damit vereinfacht sich nicht nur der Vertriebsweg. Auch die Preise für die Downloads – laut Okadabooks sind in den vergangenen Jahren bereits eine Million Bücher heruntergeladen worden – sind im Vergleich zu den gedruckten Exemplaren günstiger.

Der technische Fortschritt im Land kommt dem kleinen Unternehmen zugute: Auch in ländlichen Regionen wird das Internet besser. Die Kosten sinken. Es wird geschätzt, dass es im Land 91 Millionen potenzielle Nutzer gibt. Darauf kann Okadabooks aufbauen. Uche will aber auch inhaltlich arbeiten: „Ich wünsche mir, im nächsten Jahr viele weitere afrikanische Autoren zu entdecken.“