Fasten für eine bessere Welt
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Fasten für eine bessere Welt

Hilfswerke ‐ Das Entwicklungshilfswerk Misereor feiert in diesem Jahr sein 60. Jubiläum. Idee bei der Gründung 1958 war es, den alten Begriff des Fastens auszuweiten und den Wohlstand in Deutschland mit den Armen und Ausgeschlossenen in der Welt zu teilen. In der Zwischenzeit sind zum Hunger und der Armut weitere Probleme hinzu gekommen, Stichwort „ökologische Krise“. Deshalb muss die Fastenkultur heute über die 40 Tage vor Ostern hinausreichen, hin zu einem Paradigmenwechsel unserer Konsumgesellschaft, der besonders die Politik auf den Plan ruft. Einblicke in das Misereor-Fastenseminar.

Erstellt: 23.01.2018
Aktualisiert: 06.02.2018
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Das Entwicklungshilfswerk Misereor feiert in diesem Jahr sein 60. Jubiläum. Idee bei der Gründung 1958 war es, den alten Begriff des Fastens auszuweiten und den Wohlstand in Deutschland mit den Armen und Ausgeschlossenen in der Welt zu teilen. In der Zwischenzeit sind zum Hunger und der Armut weitere Probleme hinzu gekommen, Stichwort „ökologische Krise“. Deshalb muss die Fastenkultur heute über die 40 Tage vor Ostern hinausreichen, hin zu einem Paradigmenwechsel unserer Konsumgesellschaft, der besonders die Politik auf den Plan ruft. Einblicke in das Misereor-Fastenseminar.

Schon Theresa von Avila wusste: Wenn Fasten, dann Fasten, wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn. Oder wie es der Rheinländer formulieren würde: Alles zu seiner Zeit. Wer fastet, darf vorher auch ordentlich Karneval feiern. Und sich danach auf das Osteressen freuen, erklärt der Kölner Sozialpfarrer Franz Meurer. „Das rheinische Fasten ist besonders schön, weil man schon an Ostern denken kann, wenn es wieder wunderbaren Braten und Kölsch dazu gibt.“

Meurer ist einer der Teilnehmer bei einem Fastenseminar, das vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor im Vorfeld der jährlichen Fastenaktion in Köln organisiert wird. Eingeladen wurden Journalisten, die mit Referenten aus Forschung und Nichtregierungsorganisationen über die Bedeutung des Fastens und die verschiedenen Ansätze sprechen. „Fasten bedeutet für mich eine Schärfung der Phantasie und der Vernunft. Das heißt: Erst, wenn man auf etwas verzichtet, wird alles klarer,“ sagt Pfarrer Meurer.

Unter den Erwachsenen hat in Deutschland laut einer repräsentativen Umfrage von Misereor mit dem Meinungsforschungsinstitut „YouGov“ ein Drittel der Befragten schon einmal gefastet. Dabei verzichteten die meisten auf Alkohol (48 Prozent), dicht gefolgt von Süßigkeiten und Fleisch (30 Prozent).

„Wenn wir Armut und Hunger wirklich sinnvoll bekämpfen wollen, dann muss klar sein, dass wir das nicht mit der Methode machen können, wie wir in Deutschland zu Wohlstand gekommen sind.“

—  Zitat: Georg Stoll, Misereor-Referent

Misereor will den Seminarteilnehmern aber eine breitere Perspektive auf das Fasten mitgeben: „Für Misereor gehört das Thema Verzicht und Fasten sozusagen zu den Genen, die wir mitbekommen haben seit der Gründung in der Nachkriegszeit 1958 – also vor 60 Jahren,“ erklärt Georg Stoll von der Misereor-Abteilung für Politik und globale Zukunftsfragen. „Damals ging es beim Fasten zunächst einmal um den Impuls, von dem bescheidenen Wohlstand, den die meisten Deutschen sich nach den Kriegsjahren wieder erarbeitet hatten, etwas abzugeben.“

Die Gründer von Misereor hatten schon vor 60 Jahren die Hoffnung, Armut und Hunger vielleicht nicht sofort aber doch irgendwann in den Griff zu bekommen. „Das ist in der Tat nicht geschehen. Im Gegenteil sind weitere Probleme dazugekommen – Stichwort ökologische Nachhaltigkeit. Wir leben heute in einer Welt über unsere Verhältnisse“, so Stoll. Das stelle Misereor vor ein Dilemma: Wie Armut und Hunger für alle Menschen bekämpfen und gleichzeitig die ökologischen Grundlagen unseres Lebens erhalten? „Wenn wir Armut und Hunger wirklich sinnvoll bekämpfen wollen, dann muss klar sein, dass wir das nicht mit der Methode machen können, wie wir in Deutschland zu Wohlstand gekommen sind,“ betont Georg Stoll.

„Die Bevölkerung ist in Nachhaltigkeitsfragen meines Erachtens weiter als die Politik.“

—  Zitat: Pirmin Spiegel, Misereor-Hauptgeschäftsführer

Der Lebensstil der Deutschen hat sich in den vergangenen 60 Jahren aber wohl auch verändert: Man bezieht Ökostrom, verzichtet auf Fleisch, und fährt nur noch mit dem Fahrrad zur Arbeit.

Wege zu einer nachhaltigen Lebensform sind längst kein Geheimnis mehr. Wie aber sieht es aus mit dem politischen Willen? „Die Bevölkerung ist in Nachhaltigkeitsfragen meines Erachtens weiter als die Politik“, sagt Misereor-Hauptgeschäftsführer Monsignore Pirmin Spiegel. „Das zeigt nicht zuletzt das aktuelle Sondierungspapier von SPD, CDU und CSU. Wichtige Themen, die die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert, wie etwa die Nachhaltigkeitsziele, das Pariser Klimaabkommen oder Entwicklungspotenziale in Afrika fehlen in diesem Papier.“ Und Georg Stoll fügt hinzu: „Wie wäre es denn mal, wenn die G20-Staaten und der IWF die Entwicklungsländer nicht länger einfach als Absatzmärkte behandelten?“

Es brauche also bei allem guten Willen der Bevölkerung auch politische Rahmenbedingungen, die überhaupt die Möglichkeit zu nachhaltigem Leben schaffen. Großes Hindernis – da sind sich die Seminarteilnehmer einig – ist ein Kapitalismus, in dem Konsum zu einer Art Religion geworden sei.

Insofern kann das individuelle Fasten auch politisch werden. „Mahatma Gandhi nutzte das Fasten für die Unabhängigkeit“, erinnert Misereor-Hauptgeschäftsführer Monsignore Pirmin Spiegel. Beim Fasten gehe es darum, unseren globalisierten Lebensstil zu überdenken, offen für einen neuen Horizont zu sein und von anderen Kulturen zu lernen. „Vom indischen religiösen und kulturellen Reichtum lernen wir, unsere Beziehung zu uns selbst und zum Transzendenten, der Schöpfung und dem Nächsten in eine Harmonie zu bringen und neu durchzudenken,“ so Spiegel.

Indien ist auch Thema der diesjährigen Fastenaktion von Misereor. Gemeinsam mit der indischen Kirche nimmt das Hilfswerk den ländlichen Raum sowie die Lebensbedingungen in indischen Städten in den Blick. „Das heißt, wir behandeln Indien nicht nur als Thema, sondern zeitgleich wird in Indien die Kirche der gleichen Frage nach Veränderungsmöglichkeiten nachgehen“, erklärt Georg Stoll. In Deutschland will Misereor Gemeinden und andere Institutionen anregen, sich nicht nur mit der Situation in Indien vertraut zu machen und dort zu helfen, sondern den eigenen Lebensstil zu überprüfen: „Wie können wir ein gutes Leben so leben, dass andere Menschen auch der künftigen Generationen nicht davon ausgeschlossen werden?“

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Solange hier kein Paradigmenwechsel auf politischer Ebene stattfinde, müssten die Bürger Gemeinschaften bilden, um ihre gemeinsamen Ziele besser zu erreichen. „Die wichtigen Stichwörter sind hier: Leihen, Teilen, Tauschen“, erklärt Carolin Baedeker, Leiterin der Forschungsgruppe „Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren“ am Wuppertal Institut.

Damit man weniger Haushaltsgeräte hat, kann man sich in dem sogenannten Haus der 1.000 Maschinen vielleicht das ein oder andere Gerät leihen. Oder anstatt eines eigenen Autos Carsharing betreiben. Und beim Foodsharing wird der eigene Lebensmittelabfall vielleicht verringert. Für jene, die herausfinden wollen, wo sie noch Ballast aus dem eigenen ökologischen Rucksack abwerfen können, hat Baedeker mit ihren Kollegen einen Ressourcen-Rechner erstellt, mit dem man online den Selbsttest machen kann.

Fasten – das ist also vielmehr als nur Verzicht auf Schokolade oder Kölsch. Es ist eine Lebenseinstellung, die sich aber nicht auf individuellem „Livestyle“ und die 40 Tage vor Ostern beschränken kann. Aus dieser Einstellung erwächst eine Bewegung, die vor allem einen Adressat hat: Die Politik.

Von Claudia Zeisel

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