Glauben die Deutschen mehr an Fußball als an Gott?

Glauben die Deutschen mehr an Fußball als an Gott?

Katholikentag ‐ Warum spielt in einem christlich geprägten Land wie Deutschland der Glaube oft eine geringe Rolle? Das fragten drei junge Christen aus Syrien und dem Irak auf dem Katholikentag. Trotz Kulturschocks können sie alle eine Erfolgsgeschichte erzählen.

Erstellt: 12.05.2018
Aktualisiert: 14.05.2018
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Warum spielt der Glaube in einem christlich geprägten Land wie Deutschland für viele nur eine geringe Rolle? Das fragten drei junge Christen aus Syrien und dem Irak bei einem Gespräch auf dem Katholikentag in Münster. Trotz vieler Kulturschocks und Fettnäpfchen können sie alle eine Erfolgsgeschichte erzählen.

„Da, wo du herkommst, gibt es keine Christen.“ Diesen Satz hörte Alaa Murad in seiner ersten Stunde im Religionsunterricht am Gymnasium in Münster. Der Satz kam nicht von einem Mitschüler, sondern von der Lehrerin selbst. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig manche Menschen in Deutschland über den Irak und die Christen dort wissen“, sagt der 26-jährige Iraker. Er ist einer von drei jungen Christen aus Syrien und dem Irak, die an diesem Nachmittag während des Katholikentags über die Chancen und Probleme bei der Integration in Deutschland sprechen.

Alaas Vater ist syrisch-katholisch und seine Mutter syrisch-orthodox. Die Familie kommt aus der nordirakischen Stadt Mossul, in deren Region vor der Eroberung durch den „Islamischen Staat“ über 100.000 Christen lebten. Alaas Familie floh bereits im Zuge des Irakkriegs 2003 nach Damaskus in Syrien. „Vor dem Irak-Krieg konnten wir als Christen im Irak gut leben und uns frei bewegen, aber nach 2003 waren die Seelen der Menschen zerstört und der Bürgerkrieg begann.“ Als dann 2014 der „Islamische Staat“ Mossul eroberte, war Alaa mit seiner Familie bereits in Deutschland. „Ich weiß, dass der IS auch unser Haus besetzt hat“, sagt er. „Aber das Land besteht nicht nur aus Steinen, sondern auch aus Menschen und wenn diese fort sind, dann hast du dort nichts mehr.“

Bild: © Claudia Zeisel/weltkirche.de

Als Alaa nach Deutschland kam, war er 17 und wurde in die 10. Klasse einer Hauptschule gesteckt. „Ich verstand schnell, dass ich so nie an die Uni komme.“ Also machte sich Alaa mit Unterstützung seines Vaters und eines Deutschlehrers auf die Suche nach einem Gymnasium und fand eine bilinguale Schule, die ihm das Lernen mit noch wenigen Deutschkenntnissen leichter machte. Er holte sein Abitur nach und begann ein Studium in Maschinenbau – in den kommenden Tagen will er seine Masterarbeit abgeben.

Alaas Familie besucht in Münster regelmäßig die Gemeinde arabisch sprechender Christen, die im Zuge der großen Fluchtbewegung 2015 entstand. Dieser gehören 250 Mitglieder aus verschiedenen Konfessionen an: Maroniten, Kopten, Aramäer und Armenier. Der Gottesdienst findet immer samstags in der katholischen Piuskirche in Münster statt und wird im maronitischen Ritus in arabischer Sprache gehalten. Zudem bietet die Gemeinde ein reiches Angebot für Kinder, Frauen, ältere Menschen. „Für mich ist der Samstag ein fester Termin“, sagt Alaa. „Anfangs war ich schockiert, dass in einem christlich geprägten Land wie Deutschland der Glaube so eine geringe Rolle spielt. Manchmal hatte ich den Eindruck, hier glaubt man eher an die Arbeit, als an Gott.“ „Oder an Fußball“, fügt die junge Syrerin Meghrig Aro hinzu und lacht. Sie gehört der armenisch-orthodoxen Kirche an und war anfangs froh, dass sie in Deutschland eine christlich geprägte neue Heimat gefunden hatte. „Aber dann musste ich feststellen, dass meine deutschen Freunde das mit der Religion gar nicht so ernst nehmen, ihre Eltern zum Teil aus der Kirche ausgetreten waren. Ich würde mir wirklich wünschen, dass der Glaube in Deutschland eine wichtigere Rolle spielt.“ In der arabischen Gemeinde in Münster sieht sie einen wichtigen Ankerpunkt. „Ich halte so die Balance zwischen meinem neuen Leben in Deutschland und der Kultur und Sprache meiner Urgroßeltern, die Armenier waren.“

Bild: © Claudia Zeisel/weltkirche.de

Meghrig kommt aus Qamishli im Norden Syriens. Ihr Vater war Schneider und ihre Mutter Grundschullehrerin. Als älteste Tochter musste sie den Eltern helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden. „Meine Eltern haben hier bei Null angefangen.“ Ihr fiel es leichter, neu anzukommen, wie sie sagt. Sie hat ihr Abitur nachgeholt und will nun Theater oder Schauspiel studieren.

Die Lehrer hätten in den vergangenen Jahren viel Verständnis für sie gezeigt und auch die Mitschüler hätten sie mit der Zeit gut aufgenommen, erzählt sie. Sicher sei vieles anders hier, der Familiensinn sei bei den Syrern zum Beispiel viel stärker als in Deutschland. „Einmal sagte eine deutsche Mitschülerin: ‚Ich hasse meinen Bruder‘ – so etwas würde man in Syrien nie sagen. Vor allem, weil es Kleinigkeiten waren, die sie störten.“ Auch das Konkurrenzdenken mancher Freunde sei ihr fremd. „Ich finde es komisch, wenn meine deutschen Freunde sagen, sie seien neidisch auf jemanden. Ich denke, dass jeder dankbar sein sollte für das, was Gott ihm geschenkt hat und wer weiß, was er noch für einen bereithält.“

„Wir kommen einfach aus zwei unterschiedlichen Welten“, fügt Alaa hinzu. „Einfach alles ist anders: Wir haben anderes Essen, einen anderen Umgang miteinander, erzählen andere Geschichten – ja, auch andere Witze.“ Der 23-jährige Lavan Qaqus aus dem Nordirak lässt sich von diesen Unterschieden nicht beirren. Der Sohn einer römisch-katholischen Familie ist vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland geflohen, fuhr von der Türkei aus streckenweise sieben Tage in einem LKW-Anhänger. Nun ist er ausgebildeter Altenpfleger – und leidenschaftlicher Basketballspieler.

Von Claudia Zeisel

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