Bundestag verabschiedet Lieferkettengesetz

Bundestag verabschiedet Lieferkettengesetz

Gerechtes Wirtschaften ‐ Deutsche Unternehmen müssen künftig bei der Herstellung von Produkten im Ausland auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards achten. Der Bundestag verabschiedet am Freitag in namentlicher Abstimmung mit 412 Stimmen ein entsprechendes Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Mit Nein stimmten 159 Abgeordnete.

Erstellt: 11.06.2021
Aktualisiert: 29.11.2022
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Deutsche Unternehmen müssen künftig bei der Herstellung von Produkten im Ausland auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards achten. Der Bundestag verabschiedet am Freitag in namentlicher Abstimmung mit 412 Stimmen ein entsprechendes Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Mit Nein stimmten 159 Abgeordnete, bei 59 Enthaltungen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) äußerte sich zufrieden, dass nach „zähem Ringen“ nun ein „starkes Signal“ auch für Europa gegeben werde. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sprach von einem „Herzensanliegen“ für viele Abgeordnete.

Grüne und Linke begrüßten das Gesetz als ersten Schritt, kritisierten es aber als unzulänglich. FDP und AfD warfen der Regelung hingegen vor, sie schade der deutschen Wirtschaft. Die Regierungskoalition hatte sich erst nach langem Tauziehen und letzten Änderungen geeinigt.

Nach der Regelung müssen große deutsche Unternehmen nach einem gestuften Verfahren auf die Einhaltung von Menschenrechten auch bei ausländischen Zulieferern achten; Umweltbelastungen sind einbezogen, soweit sie etwa die Gesundheit der Arbeiter gefährden. Ansonsten können hohe Bußgelder drohen oder ein befristeter Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Die Regelung soll ab dem 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern gelten und ein Jahr später für solche mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Für die Unternehmen soll es keine zusätzliche zivilrechtliche Haftung geben. Zugleich sollen aber deutsche Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen im Namen von Betroffenen in Entwicklungsländern nach internationalem Privatrecht in Deutschland klagen können.

Heil betonte: „Anstand und Wohlstand, das darf kein Widerspruch sein“. Derzeit arbeiteten rund 160 Millionen Kinder weltweit, die Hälfte von ihnen unter besonders gefährlichen Bedingungen. Deshalb brauche es klare Standards. Das Gesetz sei robust und durchsetzungsfähig. Gerd Müller (CSU) sprach vom „wichtigsten Gesetz für mehr Gerechtigkeit zwischen Reich und Arm“. Er forderte aber weitere Schritte für eine globale Gerechtigkeit, wie die Neufassung der Welthandelsordnung nach fairen ökonomischen, ökologischen und sozialen Standards.

Carl-Julius Cronenberg (FDP) hielt der Bundesregierung vor, menschenrechtliche Verantwortung auf Unternehmen abzuwälzen und diese mit Bürokratie zu überlasten. In dieselbe Richtung ging die Kritik der AfD.

Eva-Maria Schreiber (Die Linke) bemängelte das Fehlen einer zivilrechtlichen Haftung. Ebenso bleiben bei den Sorgfaltspflichten Klima und Geschlechtergerechtigkeit unberücksichtigt. Agnieszka Brugger (Grüne) beklagte die Abstufungen der Pflichten. Gerade am Anfang der Lieferketten gebe es die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen.

Misereor: Paradigmenwechsel beim Menschenrechtsschutz in der Wirtschaft

Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel hat die heutige Verabschiedung des Lieferkettengesetzes im Bundestag als Paradigmenwechsel beim Schutz der Menschenrechte und der Schöpfung gelobt. „Das Lieferkettengesetz stellt erstmals klar, dass die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards im Ausland für deutsche Unternehmen keine Kür ist, sondern Pflicht. Das ist eine gute Nachricht für Kinder, die auf westafrikanischen Kakaoplantagen arbeiten müssen, für Arbeiter*innen auf ecuadorianischen Bananenplantagen und für Näher*innen in Textilfabriken in Bangladesch“, erklärt Spiegel. „Das Lieferkettengesetz sehen wir als einen ersten Schritt, dem in der EU und bei den Vereinten Nationen weitere folgen müssen“.

Spiegel begrüßt, dass eine Behörde ab 2023 die Einhaltung der Sorgfaltspflichten kontrolliert und Verstöße sanktioniert. Damit entfalte das Gesetz eine starke vorbeugende Wirkung. Zugleich bedauert er, dass eine zivilrechtliche Haftungsregel auf Druck von Lobbyverbänden verhindert wurde: „Das Lieferkettengesetz verbessert explizit nicht die Anspruchsgrundlagen von Betroffenen vor deutschen Zivilgerichten, wenn deutsche Unternehmen im Ausland Menschenrechte missachten und Schäden verursachen“, so Spiegel. „Den Betroffenen des Dammbruchs einer Eisenerzmine im brasilianischen Brumadinho und der Brandkatastrophe der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan ist dies schwer zu vermitteln“. Misereor bedauert ebenso, dass der Schutz von Klima und Biodiversität nicht in das Gesetz aufgenommen wurde.

Lücken im deutschen Lieferkettengesetz

Von der künftigen Bundesregierung erwartet Misereor, dass sie die Lücken im deutschen Lieferkettengesetz beseitigt und die Vorschläge des Europäischen Parlaments zu einer ambitionierten EU-Regulierung aktiv unterstützt. Das Europäische Parlament hatte im März eine Gesetzgebung für die gesamte Wertschöpfungskette gefordert, die neben Menschenrechten auch Umweltstandards umfassend regelt und zusätzlich zur behördlichen Durchsetzung eine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Misereor fordert zudem, dass die Bundesregierung den Verhandlungsprozess zu einem Völkerrechtsabkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten bei den Vereinten Nationen aktiv vorantreibt. „Mit dem heute beschlossenen Lieferkettengesetz kann die Bundesregierung auch in der EU und bei den Vereinten Nationen glaubwürdiger für Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten eintreten“, betonte Spiegel. „Diese Chance sollte die nächste Bundesregierung nutzen - im Sinne der Menschen und im Sinne eines fairen Wettbewerbs für alle Unternehmen weltweit.“

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