
Bischöfe in Venezuela: Staat hat auf ganzer Linie versagt
Caracas ‐ Eine umstrittene Polizeiaktion in der Hauptstadt Caracas mit mehr als zwei Dutzend Toten sorgt für Empörung. Für die Kirche in Venezuela Anlass, mit der Regierung des südamerikanischen Landes hart ins Gericht zu gehen.
Aktualisiert: 16.07.2021
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Es war eine der blutigsten Polizeiaktionen in Venezuela in den letzten Jahren: Mindestens 26 Menschen starben bei Schießereien im Ortsteil „Cota 905“ im Westen der Hauptstadt Caracas. Über Hintergründe und Opfer gibt es widersprüchliche Angaben. Während Menschenrechtsorganisationen von zahlreichen unbeteiligten Zivilisten sprachen, die durch verirrte oder fahrlässig abgegebene Kugeln getötet worden seien, erklärte Venezuelas Regierung, bei dem Vorfall seien die Menschenrechte geachtet und Kriminelle „neutralisiert" worden.
Bei den Aktionen in dem Armenviertel sowie weiteren Orten wurden dem Vernehmen nach Gewehre, Leuchtmunition, Granaten und Drohnen eingesetzt. Insgesamt sollen 1.000 Polizisten im Einsatz gewesen sein. Laut venezolanischen Medienberichten soll es sich bei der Operation um eine Aktion gegen eine kriminelle Bande gehandelt haben.
Die Geschehnisse in Caracas haben Venezuelas Bischöfe zum Anlass genommen, auf die „politisch-soziale Krise“ der letzten Jahrzehnte einzugehen. Gelegenheit gab es dazu bei der Vollversammlung des Episkopats. „All dies ist das Produkt des Scheiterns eines sozialen und produktiven Modells, das seit Jahren die Löhne der Venezolaner pulverisiert“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Bischöfe. Die Krise sei auch das Ergebnis des Einsatzes von Gewalt als politische Waffe, in Wort und Tat, als Drohung und als Tatsache. Schwere Vorwürfe richten die Bischöfe auch gegen die Polizei und die Streitkräfte: „Die staatlichen Sicherheitsbehörden sind in schwere Korruptionshandlungen verwickelt.“
Bischöfe: Staat hat Covid-19-Situation „exponentiell verschlimmert“
Die Regierung habe es den Bürgern unmöglich gemacht, „einen angemessenen und ausreichenden Lebensunterhalt zu verdienen“. So seien einige Menschen gezwungen, sich mit kriminellen Mitteln über Wasser zu halten. In ihrer Generalabrechnung mit der von Menschenrechtsorganisationen immer wieder scharf kritisierten Regierung des linksgerichteten Präsidenten Nicolas Maduro werfen die Bischöfe dem Staat auch vor, in der Gesundheits- und Bildungspolitik versagt zu haben; dort habe sich eine schon zuvor desaströse Situation durch Covid-19 noch „exponentiell verschlimmert“. Die Regierung müsse umgehend „die Krankenhäuser mit dem Notwendigsten versorgen und sich um die Gesundheit unseres Volkes kümmern, vor allem im Hinblick auf die Pandemie“, fordern die Bischöfe.
Viel zu niedrige Lehrergehälter sowie fehlender Zugang zum Internet seien der Grund für den schlechten Zustand des Bildungssystem, so die Kirchenvertreter weiter. Da nur 20 Prozent der Bevölkerung diese Dienste in Anspruch nehmen könnten, gebe sich die Regierung Illusionen hin, „wenn sie so tut, als ob formale Bildung derzeit über das Internet geschieht“. Die Bischöfe dringen deshalb auf einen „globalen Bildungspakt“, der auch Bereiche wie Wirtschaft, Kunst und Religion einbezieht.
Von Tobias Käufer (KNA)
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