Wie Überschwemmungen und Hitze Konflikte in Nigeria verschärfen
Yola ‐ Überschwemmungen, steigende Temperaturen und ausbleibender Regen sind in Nigeria Alltag geworden. Aufhalten lassen sich die klimatischen Veränderungen kaum. Kirchen und Aktivisten machen die Bevölkerung widerstandsfähig.
Aktualisiert: 21.07.2022
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Überschwemmungen, steigende Temperaturen und ausbleibender Regen sind in Nigeria Alltag geworden. Aufhalten lassen sich die klimatischen Veränderungen kaum. Kirchen und Aktivisten machen die Bevölkerung widerstandsfähig.
„Es ist heißer als üblicherweise im November“, sagt Maurice Kwairanga aus Yola, der Hauptstadt des Bundesstaates Adamawa im Nordosten Nigerias. Der Priester und Leiter des Caritas-Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC) beobachtet seit Jahren mit Sorge die klimatischen Veränderungen. Vor allem, wenn er in den Dörfern Messe feiert, spürt er die Folgen. „Jeden Sonntag muss ich 5.000 Naira für verarmte Familien mitnehmen. Sie hoffen, mit dem Geld eine Woche lang zu überleben.“
5.000 Naira – umgerechnet gut zehn Euro – sind für viele der knapp 220 Millionen Einwohner Nigerias viel Geld. Schätzungen zufolge leben etwa 90 Millionen unterhalb der Armutsgrenze und haben jährlich umgerechnet weniger als 300 Euro zur Verfügung. Einst hätten die Bauern der Kirche gespendet, erzählt Kwairanga. Heute seien sie selbst auf Almosen angewiesen.
Grund dafür ist der Einfluss des Klimawandels auf die Landwirtschaft. „Früher hat es hier ab April geregnet, was nicht mehr zuverlässig ist. Und wenn es nun regnet, dann kommt es oft zu Überschwemmungen, die ganze Ernten vernichten.“ Dass Böden immer stärker ausgelaugt sind, liege auch an der anhaltenden Abholzung. Menschen sind auf der Suche nach Feuerholz. Internationale Unternehmen, meint Kwairanga, betreiben „Landgrabbing“. Sie kaufen Flächen auf und fällen Jahrzehnte alte Bäume.
Die Folgen für die Gesellschaft seien gravierend. „Die häusliche Gewalt steigt. Die Menschen werden aggressiver.“ Für Kwairanga ist daher klar: Die Kirche muss Stellung beziehen. Klimawandel und vor allem Widerstandsfähigkeit sind längst Gegenstand seiner Predigten geworden. Doch es braucht auch Aktionen. Unter anderem sollen im Rahmen eines Pilotprojekts Haushalte Zugang zu energiesparenden Kochöfen erhalten.
Sie sind das Herzstück des Unternehmens Roshan Renewables. Der Happy Cookstove braucht nur die Hälfte der Kohle und ist rauchfrei, sagt das Unternehmen. Benannt ist er nach der Gründerin Happy Amos, die in diesem Jahr bereits mehr als 6000 verkauft hat. Die Kochöfen, die zwischen zehn und 20 Euro kosten, gibt es in drei Größen. „Der Verkauf läuft gut“, sagt Amos, die den Firmensitz im Bundesstaat Niger aufgebaut hat und mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt. Auch sie arbeitet längst mit Kirchen zusammen und erklärt Frauengruppen, wie sie beim Kochen Energie und Geld sparen können.
So treibt der Klimawandel Jugendliche in die Hände von Terrorgruppen
Das sei gut für die eigene Haushaltskasse und gleichzeitig ein Schritt, um die Abholzung der Wälder zu verlangsamen. Denn die wachsende Wüstenbildung und das Versiegen von Wasserstellen nimmt vor allem jungen Menschen Perspektiven. Knapp 62 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25. „Sie können nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten und haben keine Jobs“, sagt Happy Amos. Das mache sie anfällig für illegale Aktivitäten und Rekrutierungsversuche von Terrorgruppen.
Allerdings wurde der Zusammenhang von Gewalt und Klimawandel lange abgetan, so auch im Konflikt zwischen Farmern und Viehhirten im Middle Belt in Zentralnigeria. Heute sagt Blaise Agwom, Priester und Leiter des Zentrums für Dialog, Versöhnung und Frieden (DREP) in der Stadt Jos: „Es ist ein zentraler Faktor mit gravierenden Auswirkungen.“ Viehhirten ziehen auf der Suche nach Weideflächen immer weiter in Richtung Süden und konkurrieren mit Farmern um immer knapper werdendes Land. Es werden Straßen und Gebäude gebaut. Bodenerosionen nehmen zu, und Nigerias Bevölkerung wächst. Seit der Unabhängigkeit 1960 hat sie sich etwa vervierfacht. Konflikte würden häufig dort entstehen, wo es Wasserstellen gibt.
Auch Agwom fordert: Die Kirche muss sich einbringen. Im DREP-Zentrum kommen Vertreter der verschiedenen Konfliktparteien zu Gesprächen zusammen. Längst geht es nicht mehr um zertrampelte Äcker oder erschossene Kühe. Die Gewalt hat so zugenommen, dass regelmäßig Dutzende Personen bei Angriffen ermordet werden. Baumpflanzaktionen sind längst Teil von Projektanträgen geworden. Auch müssen ertragreichere Sorten angebaut werden. Denn Blaise Agwom zieht ein ernüchterndes Fazit: „Je mehr Land wir verlieren, desto größer wird die Krise werden.“
Von Katrin Gänsler (KNA)
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