Die Flagge von Tansania vor blauem Himmel

„Gemischte Bilanz“ für Tansanias Reformerin

Daressalam ‐ Der Tod des Corona-Leugners und Populisten John Magufuli vor einem Jahr hat Tansania eine Hoffnungsträgerin beschert. Doch trotz einiger positiver Signale: Ganz klar ist noch nicht, wohin die Reise geht.

Erstellt: 17.03.2022
Aktualisiert: 22.06.2022
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Schwangere Schülerinnen und inhaftierte Politiker haben in Tansania eines gemeinsam: Hoffnung. Und diese Hoffnung trägt Hidschab mit Sonnenbrille. Sie heißt Samia Suluhu Hassan und wurde vor einem Jahr als Präsidentin ihres Landes vereidigt.

Vor einer Woche sorgte ein Treffen zwischen Präsidentin Suluhu und dem Politiker Freeman Mbowe für Schlagzeilen. Mbowe, einer der dienstältesten Oppositionsführer seines Landes, war nur wenige Stunden zuvor aus der Haft entlassen worden. Er hatte acht Monate im Gefängnis verbracht, weil ihm der Staat die Finanzierung von Terror und Wirtschaftssabotage vorgeworfen hatte. Mit erdichteten Anklagen gehen Tansanias Behörden seit Jahren gegen Regimekritiker, Menschenrechtler und Journalisten vor. Oft ist Gewalt im Spiel. Wie etwa im Fall des Oppositionspolitikers Tundu Lissu, der 2017 mit 16 Kugeln angeschossen und zum Sterben zurückgelassen wurde. Er lebt seither im Brüsseler Exil.

Allerdings hat sich der politische Wind in Tansania gedreht. Lissu dachte zu Jahresbeginn sogar erstmals laut über eine Rückkehr nach. Und Mbowe bekundete, gemeinsam mit Präsidentin Suluhu „durch Vertrauen und gegenseitigen Respekt die Nation aufbauen“ zu wollen. Auslöser für den Kurswechsel war der Tod des Populisten John Magufuli. Der Corona-Leugner starb am 17. März 2021 – offiziell an den Folgen eines Herzleidens, Gerüchten zufolge an einer Covid-Erkrankung. Zwei Tage später erbte Suluhu das Präsidentenamt.

Außenpolitisch reaktivierte die neue Staatschefin die eingeschlafenen Beziehungen zu den Nachbarländern. Trotz Covid ist es ihr gelungen, die Wirtschaft mithilfe von Investoren anzukurbeln. Das ist wichtig, lebt schließlich fast die Hälfte der Tansanier von unter 1,90 US-Dollar pro Tag. Auch die Polizei gehe seit ihrem Amtsantritt seltener gegen Aktivisten und Reporter vor als zu Magufuli-Zeiten, beobachtet Ringisai Chikohomero, Forscher am südafrikanischen Institut für Sicherheitsstudien (ISS).

Vor kurzem hob die Regierung ein Verbot von vier Zeitungen auf. Als größten Erfolg wertet Chikohomero die Rückkehr schwangerer Schülerinnen in die Klassenräume. Vorgänger Magufuli hatte sie per Erlass verbannt. „Das war bedauerlich, zumal die Alphabetisierungsrate in Tansania bei nur 70 Prozent liegt und viele Kinder nicht zur Schule gehen.“

Oppositionsführer Mbowe kam auf Intervention von Glaubensführern frei. Auch zwischen Kirche und Staat kam es unter Suluhu zu einer Annäherung. Sie versprach eine engere Zusammenarbeit und ist überzeugt: „Wenn Religionsführer zu Gläubigen sprechen, nehmen die sich ihre Worte zu Herzen.“

Dennoch: Der Politologe Chikohomero attestiert der Präsidentin eine „gemischte Bilanz“. Zwar werde nun auch endlich in Tansania gegen Covid-19 geimpft. „Aber da die Regierung die einzige Institution ist, die Statistiken veröffentlichen darf, wissen wir nicht, wie weit der Prozess wirklich ist.“ Zudem dürfe man nicht vergessen, „dass Magufulis Gesetze nach wie vor in Kraft sind. Wir bewegen uns also immer noch zwischen Rhetorik und Gesetz“, so der Experte. Bloß weil die Polizei drakonische Medien- und Sicherheitsgesetze seltener umsetze, bedeute das nicht, dass die Tansanier freier seien.

Diesen Umstand kritisiert auch Amnesty International. Die Freilassung von Oppositionsmann Mbowe müsse „konkrete und wirksame Maßnahmen“ mit sich bringen. Die Ostafrika-Vertreterin von Amnesty, Sarah Jackson: „Es müssen augenblicklich alle im Land freikommen, die wegen ihrer Äußerung friedlichen Widerstands festgenommen wurden.“

Magufulis Spitzname lautete „Bulldozer“. Während seine Fahrtrichtung für jeden klar war, lässt die neue Präsidentin Politologen noch im Dunkeln tappen. Das könnte laut Chikohomero daran liegen, dass sie keine gewählte Präsidentin ist, sondern mit dem „geborgten Mandat“ ihres Vorgängers regiere. Die nächsten Wahlen sind für 2025 geplant. Schon jetzt warnt die Zeitung „The East African“ die Landesmutter davor, einem autokratischen Führungsstil zu verfallen, denn: „Die Tansanier und die internationale Gemeinschaft hießen sie willkommen, eben weil sie nicht Magufuli war.“

Von Markus Schönherr (KNA)

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