Stolz recken Wähler in Myanmar die blau gefärbte Kuppe des rechten Zeigefingers in Fernseh- und Handykameras. Seht her, ich habe gewählt, lautet die Botschaft der Menschen in dem südostasiatischen Land, das sich auf einem höchst holprigen Weg des Übergangs von einer Diktatur zu einer Demokratie befindet.
Die Bilanz von fünf Jahren Regierung der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung von Aung San Suu Kyi ist ernüchternd. Ob Pressefreiheit, Religionsfreiheit oder Menschenrechte – mit allen Kernwerten einer Demokratie ging es unter dem Regime der Friedensnobelpreisträgerin rapide bergab. Gleichwohl wird „The Lady“ von den Bama, der alles dominierenden Mehrheitsethnie in Myanmar, als „Amay“, als Mutter verehrt – um so mehr, seit sie im Januar höchstpersönlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die gewaltsame Vertreibung von mehr als 700.000 Rohingya rechtfertigte.
Nach der Schließung der Wahllokale am späten Nachmittag gab es zunächst noch keine Prognosen. Aber die langen Schlangen vor den Wahllokalen waren Anzeichen einer hohen Wahlbeteiligung. „Die Nationale Liga für Demokratie ist heute der überwältigende Favorit, aber es bleibt abzuwarten, ob sie zwei Drittel der zur Wahl stehenden Sitze im Parlament gewinnen kann“, hieß es am frühen Abend im Live-Wahlblog des Nachrichtenportals Frontier Myanmar. „Erreicht sie diese Marke, ist es garantiert, dass sie den Präsidenten stellen und eine Regierung bilden kann.“
Damit haben sich Befürchtungen in Luft aufgelöst, die Corona-Pandemie könnte viele Menschen vom Gang zur Wahlurne abhalten. Fotos und Videos vom Wahltag zeigen Menschen, die Masken tragen. In blaue Schutzanzüge gekleidete Helfer verteilten vor den Wahllokalen Handdesinfektionsmittel. Allerdings war wegen des großen Andrangs das Abstandhalten oft nicht möglich.
Für eine beruhigende Nachricht sorgte am Wahltag Armeechef Min Aung Hlaing mit der Ankündigung, jedes Wahlergebnis akzeptieren zu wollen. In den Tagen zuvor hatte der General mit harscher Kritik an der Wahlkommission und der Feststellung, der Schutz der Verfassung sei die vornehmste Aufgabe der Armee, Ängste vor einem neuen Militärputsch ausgelöst.
Min Aung Hlaing ist der starke Mann Myanmars und – wie viele sagen – der eigentliche Regierungschef. Die Verfassung garantiert der Armee das Recht zur Besetzung der sicherheitsrelevanten Ministerien für Inneres, Verteidigung und Grenzschutz. Zudem besetzt das Militär ein Viertel der Parlamentssitze mit handverlesenen Soldaten.
Die schlechte Nachricht: Mehr als 1,5 Millionen Angehörige ethnischer Minderheiten wurden unter dem Vorwand von Sicherheitsbedenken von der Wahl ausgeschlossen, darunter im westlichen Teilstaat Rakhine Hunderttausende Rohingya. Ebenfalls in Rakhine wurde die Wahl auch in Gebieten suspendiert, die mehrheitlich von der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit der Arakanesen bewohnt sind. Das, so westliche Diplomaten, spiele in die Hände der gut bewaffneten Arakan Army, die sich seit fast zwei Jahren in Rakhine in einem brutalen Krieg mit der Armee von Myanmar befindet.
Per Gesetz sind zudem die rund fünf Millionen Migrantenarbeiter in den Nachbarländern, Hunderttausende Geflüchtete in den Lagern in Thailand und in Myanmar, und selbst die 500.000 Kleriker aller Religionen von der Wahl ausgeschlossen. „Als Kardinal kann ich Stellungnahmen abgeben und Reden halten und Leute ermutigen zu wählen. Aber ich selbst darf nicht wählen“, klagte der Erzbischof von Rangun, Kardinal Charles Bo, kurz vor der Wahl gegenüber katholischen Medien.
Seit dem frühen Abend feiern Zehntausende NLD-Anhänger dicht gedrängt vor der Parteizentrale in Rangun den erwarteten Wahlsieg von Aung San Suu Kyi. „Das Virus ist uns egal. Es ist völlig in Ordnung, wenn ich mich infiziere. Ich werde die ganze Nacht feiern“, sagt eine Frau, deren Gesichtsmaske ein Konterfei von Aung San Suu Kyi ziert, der Zeitschrift „Frontier Myanmar“. Derweil klatscht die Menge rhythmisch, schwenkt NLD-Fahnen und skandiert: „Amay (Mutter) Suu muss gewinnen.“