Kirche in Nicaragua setzt erneut an zum Dialog
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Kirche in Nicaragua setzt erneut an zum Dialog

Nicaragua ‐ Die Kirche in Nicaragua will einen neuen Anlauf für einen „Nationalen Dialog“ nehmen. Anlass ist die scharfe Regierungskritik eines bislang wichtigen Vertrauten von Präsident Daniel Ortega.

Erstellt: 16.01.2019
Aktualisiert: 26.10.2022
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Die Kirche in Nicaragua will einen neuen Anlauf für einen „Nationalen Dialog“ nehmen. Anlass ist die scharfe Regierungskritik eines bislang wichtigen Vertrauten von Präsident Daniel Ortega.

Es soll ein Zeichen an die Opfer des Aufstandes gegen Präsident Daniel Ortega sein: Für den 19. Januar haben Künstler im Exil über die Sozialen Netzwerke dazu aufgerufen, die Nationalhymne Nicaraguas zu intonieren. Als Geste für „diejenigen, deren Stimme zum Schweigen gebracht wurde“, wie es in dem Aufruf heißt: für die politischen Gefangenen und Todesopfer der vergangenen neun Monate, seit im April die Massenproteste gegen die sandinistische Regierung begannen.

Seitdem ist viel passiert in dem kleinen mittelamerikanischen Land, das zu Beginn der Proteste vielen Christen wegen seiner erfolgreichen und engagierten Basisgemeinden als Vorzeigeprojekt galt – und inzwischen tief abgestürzt ist. Mehr als 300 Tote sollen die Proteste gefordert haben, fast 100.000 Menschen sind geflohen, Hunderte sitzen in Haft. Regierungskritische Redaktionen wurden verwüstet, Nichtregierungsorganisationen aus dem Land geworfen – nur eines ist gleich geblieben: das Präsidentenpaar an der Macht. Präsident Daniel Ortega und Vizepräsidentin Rosario Murillo sitzen weiter fest im Sattel.

Trotzdem will die katholische Kirche nicht aufgeben und versucht nun einen Neustart. Der „Nationale Dialog“ mit der wütenden Zivilgesellschaft, den Ortega noch unter dem Druck der Straße begann, ehe er sich für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste entschied, soll wieder aufgenommen werden.

Managuas Weihbischof Silvio Baez ist während der Aufstände zu einer Anlaufstelle für schutzsuchende Demonstranten geworden. Er rief Ortega in dieser Woche dazu auf, den Rücktritt des Richters Rafael Solis von dessen Amt im Obersten Gerichtshof dazu zu nutzen, auf den Weg des Dialogs zurückzukehren. Solis war ein enger Vertrauter der Ortegas – und warnte nun, dass Nicaragua noch nie so nah an einem Bürgerkrieg gewesen sei wie derzeit.

Solis übte auch Selbstkritik: Es sei ein Fehler gewesen, die Wiederwahl des Präsidenten zuzulassen, sagte er. Ortega hatte sich vor seiner letzten Wiederwahl mit der Justiz beholfen, um die in der Verfassung nicht vorgesehene erneute Wiederwahl doch möglich zu machen.

Ortega reagierte auf seine Art: Sein ehemaliger Mitstreiter Solis sei ein Verräter, ließ der Präsident wissen. Managuas Erzbischof, Kardinal Leopoldo Brenes, hielt dem entgegen: Man müsse sich anhören und darüber nachdenken, was Solis gesagt habe. „Er hat sich seine Entscheidung sicher nicht leicht gemacht.“

Nicaraguas regierungskritische Medien kommentierten, der Rücktritt des einflussreichen Richters sei ein Beleg für den Auflösungsprozess innerhalb des Ortega-Blocks. Ex-Guerillero und Militär Roberto Samcam erklärte derweil, Ortega befinde sich in einer Sackgasse ohne Ausweg. Der Präsident wolle einen Ausweg finden, der seine Interessen und sein Gesicht wahre, so Samcam in der Zeitung „El Pais“.

Die aktuellen Unruhen in Nicaragua hatten sich im vergangenen April zunächst an einer inzwischen revidierten Rentenreform entzündet. Anschließend richteten sich die landesweiten Proteste gegen die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie gegen staatliche Gewalt. Nun fordern Vertreter der Zivilgesellschaft den sofortigen Rücktritt von Präsident Ortega. Der lehnt dies jedoch ab und macht die Opposition für die Gewaltausbrüche verantwortlich. Menschenrechtsorganisationen und die katholische Kirche werfen der Regierung schwere Menschenrechtsverstöße vor.

Wegen der anhaltenden Krise in Nicaragua haben in den vergangenen Monaten mehr als 80.000 Menschen ihre Heimat verlassen. Das berichtete die Tageszeitung „Metro“ jüngst unter Berufung auf eine Studie des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes. Damit sei die Zahl ähnlich hoch wie zu Zeiten des Bürgerkrieges in den 1980er Jahren. Die politischen Akteure, die das Land regierten, seien zudem die gleichen wie damals, hieß es. Und beide Konflikte seien geprägt von massiven Menschenrechtsverletzungen. Rund 30 Prozent der Migranten, die seit Mitte April das Land verlassen hätten, seien Studenten.