Hyacinth Anthony Yawati schließt für einen Moment die Augen: „Einige der Binnenflüchtlinge sind zu mir gekommen und wollten über das Erlebte sprechen. Immer wieder habe ich auch Verletzte besucht.“ Er muss schlucken. „Was sie gesehen haben, muss der Horror gewesen sein.“
Ein Fall hat ihn ganz besonders mitgenommen. „Ich habe eine Frau kennengelernt, die hier in der Nähe studiert. Sie musste miterleben, wie ihre Tochter ermordet wurde. Sie selbst wurde angeschossen und kann nicht mehr laufen.“ Seitdem besucht er die Frau regelmäßig, erzählt er. Es sei auch gelungen, etwas Geld zum Überleben aufzutreiben. Doch ebenso wichtig sei es, dass überhaupt jemand zuhört. Werde das Erlebte nicht besprochen und aufgearbeitet, könnten sich Hass und Wut immer weiter entwickeln. „Das könnte zu Vergeltungsanschlägen führen“, prophezeit der Priester.
Offen wollen die wenigsten Menschen darüber sprechen. Hinter vorgehaltener Hand ist jedoch viel Misstrauen zu spüren: Viele Muslime, so schimpfen einige Christen, hätten sich nicht eindeutig gegen Boko Haram positioniert. Wer vor der Gruppe in Richtung Süden geflohen ist, fragt sich oft, was während der Besatzung tatsächlich passierte und wer möglicherweise mit Boko Haram kollaborierte. Generell ist das Misstrauen gegenüber Fremden groß. Wer neu ist, wird zum Bürgermeister geschickt. Der wiederum dürfte dann längst selbst über den Fremden informiert worden sein.
Maji Peterx kennt das Problem aus seiner Arbeit. Sein Ziel ist es deshalb, Rückkehrer und Personen, die nicht geflüchtet sind, zusammen zu bringen. Dafür lädt er ganz unterschiedliche Gesprächspartner ein, steht mit Priestern und Imamen sowie Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, in Kontakt. „Vielerorts kommt es zu Misstrauen, wenn Menschen keine Plattform haben, um miteinander zu sprechen und sich auszutauschen.“
Allerdings, so gibt er zu, ist es ein langwieriges Unterfangen, das in Nigerias Nordosten noch viel Zeit brauchen wird. „Vergebung ist keine einzelne Handlung, sondern ein Prozess.“ In einigen Orten gebe es allerdings bereits spürbare Verbesserungen. „Ich erlebe, dass die Menschen generell bereit sind, zu vergeben. Das bringt schließlich auch eine große Befreiung.“