Blick über Prizren im Kosovo
In der politischen Warteschleife

Nach gescheiterten Verhandlungen muss Kosovo schon wieder wählen

Pristina  ‐ Die Fronten im Kosovo sind verhärtet, der Alltag vieler Menschen unnötig erschwert. Ändern soll das die für den 28. Dezember angesetzte Parlamentswahl. Experten empfehlen jedoch einen grundlegenden Kurswechsel.

Erstellt: 27.12.2025
Aktualisiert: 22.12.2025
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Von Markus Schönherr (KNA)

Neun Monate wurde im Kosovo um eine neue Regierung gerungen. Jetzt heißt es für die Region, die in Europa immer noch um ihre staatliche Anerkennung kämpft: alles auf Anfang. Die politischen Fronten sind dermaßen verhärtet, dass sich im Parlament auch im zweiten Anlauf keine Mehrheit für eine Regierung fand. Am 28. Dezember soll daher neu gewählt werden.

„Im Grunde befindet der Kosovo sich in einem verfassungspolitischen Wartezimmer. Das Versagen, eine Nationalversammlung zu bilden und eine Regierung zusammenzustellen, führt bereits zu sichtbaren Rissen in der Verwaltung“, beschreibt Eugen Cakolli die aktuelle Lage. Er ist Programmmanager des Demokratischen Instituts des Kosovo, einer Denkfabrik in der Hauptstadt Pristina.

Mit Sorge beobachtet er, wie die politische Blockade sich inzwischen auf den Alltag der Kosovaren auswirkt: Amtswege, Sozialprogramme, Ausschreibungen und Gemeindeprojekte - vieles ist dieser Tage auf Eis gelegt. Daher steht für den Experten fest: „Die Sackgasse, in der wir uns befinden, ist nicht mehr nur eine verfassungsrechtliche Angelegenheit, sondern eine soziale.“

Der Kosovo mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnern erklärte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien und gilt als eines der ärmsten Länder Europas. Zu den Herausforderungen trägt vor allem Abwanderung bei: Verschiedenen Statistiken zufolge verlassen jährlich zwischen 20.000 und 43.000 Kosovaren ihre Heimat, die meisten davon Richtung Deutschland und Schweiz. Kritiker hatten über das Jahr wiederholt gewarnt, dass die politische Krise die Entwicklung weiter lähme.

Denn auch außenpolitisch kann sich der Kosovo eigentlich keine Patzer leisten: Schon vor Längerem hat die EU als einer der wichtigsten Geldgeber mit Sanktionen auf politische Fehltritte der Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti reagiert. Der Konflikt mit Serbien schwelt weiter.

„Kosovos Glaubwürdigkeit als verlässlicher und berechenbarer internationaler Partner hat einen Dämpfer bekommen“, analysiert Albert Krasniqi von der Denkfabrik Democracy Plus in Pristina. Die institutionelle Blockade habe die Ratifizierung wichtiger internationaler Abkommen verzögert und den Dialog mit Serbien zum Stillstand gebracht. Eine Isolation, die für das Land teuer werden könnte: „Kosovo riskiert nun, den Zugang zu wichtigen Finanzinstrumenten, darunter Kredite der Weltbank und Mittel aus dem EU-Wachstumsplan, zu verlieren“, so Krasniqi. Dabei gehe es um „potenziell Milliarden von Euro, die die Entwicklung unterstützen würden“.

Bei der Parlamentswahl im Februar hatte die bisherige Regierungspartei Vetevendosje - auf Deutsch „Selbstbestimmung“ (VV) - ihre Mehrheit verloren. Die politischen Fronten sind so verhärtet, dass anschließend nicht nur die Zusammensetzung des Parlaments über mehrere Monate hinweg unter anderem an der Wahl des Vorsitzenden scheiterte. Auch auf eine Koalition oder eine Minderheitsregierung konnten sich die Parteien nicht einigen.

Alles Kalkül? Dazu meint Politikexperte Krasniqi: „Die Partei geht davon aus, dass die große kosovarische Diaspora während der Feiertage in ihre Heimat zurückkehren und der VV am Wahltag zu mehr Stimmen verhelfen wird.“ Bereits bei früheren Wahlen hätten Auslandskosovaren überwiegend die VV unterstützt.

Kann die Neuwahl vier Tage nach Weihnachten eine Lösung bringen? Mentor Vrajolli, Direktor des Kosovo-Zentrums für Sicherheitsstudien (KCCS) in Pristina, hegt Zweifel: „Ohne einen grundlegenden Wandel der politischen Kultur und der politischen Führung sind andere Ergebnisse kaum zu erwarten.“ Der Politikexperte warnt vor einem möglichen „Shutdown“, falls das Parlament oder die Interimsregierung nicht rechtzeitig das Budget für 2026 beschließt.

„Die einzig schnelle und realistische Lösung für die politische Krise besteht deshalb in einer Deeskalation“, sagt KCCS-Direktor Vrajolli. Dass Regierung und Opposition einen Konsens „im Interesse des Gemeinwohls“ finden, dazu äußert der Experte vorsichtig Hoffnung. Zuletzt sei der Ton bei der Debatte über eine Zusammenarbeit nach der Wahl „weicher“ geworden. „Dieser Haltungswechsel wäre sehr zu begrüßen. Vor allem wenn die Wahlergebnisse wieder zu ähnlichen Mehrheitsverhältnissen in der Nationalversammlung führen.“

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