„Ich erwarte nichts Gutes“

„Ich erwarte nichts Gutes“

Das am 23. Januar vereinbarte Waffenstillstandsabkommen für den Südsudan besteht anscheinend nur auf dem Papier. Immer wieder flammen Kämpfe zwischen den Anhängern von Präsident Salva Kiir und dem früheren Vizepräsidenten Riek Machar auf. Der aus Berlin stammende Comboni-Missionar Pater Gregor Schmidt lebt seit März 2009 im Südsudan. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht er über die Lage vor Ort und erklärt, welche Rolle die verschiedenen Ethnien im Konflikt spielen.

Erstellt: 11.02.2014
Aktualisiert: 30.11.2022
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Frage: Angesichts der anhaltenden Kämpfe im Südsudan haben viele Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit einstellen müssen, die UNO hat einen Großteil ihres zivilen Personals ausfliegen lassen. Warum bleiben Ordensleute, wie die Comboni-Missionare , trotz allem im Südsudan?

Schmidt: In meiner Hausgemeinschaft ist uns klar, dass unsere Präsenz vor Ort wichtiger ist denn je. Das Evangelium gibt Zeugnis vom Licht Jesu, das in der Dunkelheit leuchtet. Dort, wo die Menschen es annehmen, wandelt sich Hass in Liebe und Verzweiflung in Zuversicht. In der Lebensform meines Ordens heißt es: „In der Nachfolge Christi wird der Missionar mit dem Leben, Arbeiten und Weg des Volkes solidarisch und teilt dessen Schicksal.“ Wenn das Schicksal Bürgerkrieg bedeutet, ist das auch mein Schicksal. Das tue ich bewusst und im Vertrauen auf Gott.

Bild: © KNA

Frage: Ihre Pfarrei befindet sich im Bundesstaat Jonglei mitten im Rebellengebiet bei den Nuer. Wie ist derzeit die Situation vor Ort?

Schmidt: Von den 11 Pfarreien unserer Diözese sind lediglich zwei nicht von den Kämpfen betroffen. Eine davon ist unsere Pfarrei. Das liegt an dem unzugänglichen Territorium. Es führt keine Straße in unser County. Und über den Fluss ist eine Attacke für die Armee zu gefährlich, weil die Rebellen weite Teile des Ufers kontrollieren.

In unserem Ort Old Fangak gibt es eine gespannte Ruhe. Wenigstens plündern die Rebellen nicht wie an anderen Orten. Aber die Lebensmittelvorräte auf dem Markt gehen dem Ende zu. Das Mehl ist beispielsweise ausgegangen, so dass der Bäcker kein Brot mehr verkauft. Nach UN-Angaben hat mittlerweile circa ein Drittel der Bevölkerung Probleme, sich zu ernähren. Das sind knapp 4 Millionen Menschen.

„Wenn das Schicksal Bürgerkrieg bedeutet, ist das auch mein Schicksal. Das tue ich bewusst und im Vertrauen auf Gott.“

Frage: Wenn weiterhin gekämpft wird, bedeutet das doch, dass das Waffenstillstandsabkommen, das am 23. Januar vereinbart wurde, nicht eingehalten wird.

Schmidt: Wir hören von den Flüchtlingen aus den Bundesstaaten Upper Nile und Unity, dass es keinen Tag seit dem vereinbarten Waffenstillstand gegeben hat, an dem die Regierungsarmee nicht in Nuer-Territorium vorgedrungen ist. Präsident Salva Kiir ist in der stärkeren Position durch die Unterstützung der Armee Ugandas, Rebellengruppen aus dem Sudan/Dafur und angeblich auch M23-Rebellen aus der Demokratischen Republik Kongo. Er will die Gunst der Stunde nutzen, am Boden Fakten zu schaffen, bevor die offiziellen Friedensverhandlungen beginnen.

In Upper Nile State bewegt sich die Regierungsarmee mit der SPLM-North (eine weitere Rebellengruppe des Sudan) langsam südwärts und hat mittlerweile die Grenze zu Jonglei State erreicht. Es dauert wohl noch einige Wochen, aber wenn kein echter Waffenstillstand erreicht wird, ist auch unser Ort gefährdet.

Das Schlimme ist, dass die Bevölkerung doppelt geplündert wird. Zuerst kommen „unsere“ Rebellen, die hungrig sind und dem Gegner nichts Wichtiges hinterlassen wollen. Sie rauben Nahrung, Hühner und Benzin. Wenn dann die Armee mit Söldnern ankommt, wird das mitgenommen, was noch übrig ist. Obwohl sich die Nuer-Rebellen nicht besser verhalten, liegt die Verantwortung ganz bei der Regierung, denn ohne den Vorstoß der Armee würde es diese Tragödie und das Chaos nicht geben.

Ich will übrigens die Rebellen von Riek Machar nicht von Schandtaten freisprechen. Präsident Kiir hat ihnen vorgeworfen, ebenfalls den Waffenstillstand gebrochen zu haben. Weil nach Old Fangak jedoch ausschließlich Menschen kommen, die vor der Regierungsarmee fliehen, berichte ich davon so ausführlich.

Bild: © P. Gregor Schmidt

Frage: Nach Schätzungen des UNHCR sind mehr als 740.000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht; mehr als 120.000 Menschen sollen in die Nachbarländer geflohen sein. Wo kommen diese Menschen unter? Welche Schutzmöglichkeiten bietet die Kirche?

Schmidt: Nur etwa 80.000 Menschen haben Zuflucht in den Lagern der UNO gefunden. Ich nehme an, dass die meisten anderen dahin flüchten, wo sie vermuten, dass die Kämpfe nicht hingelangen, und wo sie Familie haben. Alle Flüchtlinge in Old Fangak wohnen bei Verwandten. Es gibt hier kein Lager.

Die Kirche ist nicht in der Lage, vor den Kämpfen Schutz zu bieten. Selbst bewaffneten Blauhelmsoldaten fällt es manchmal schwer, die Flüchtlingslager vor dem Eindringen der Armee oder den Rebellen zu schützen. In Malakal, dem Bischofssitz unserer Diözese, sind während der Gefechte bis zu 6.500 Menschen in die Kathedrale geflüchtet. Die Sitzbänke sind für 800 Personen ausgelegt. Glücklicherweise wurde das Gebäude nicht angegriffen.

Frage: Welche Rolle spielt die ethnische Zugehörigkeit in dem Konflikt?

Schmidt: In den Medien wurde des Öfteren betont, es würde sich in erster Linie um einen Machtkampf zwischen wenigen Politikern handeln, nicht um einen ethnischen Konflikt. Das stimmt insofern, dass die Eskalation der Ereignisse durch Entscheidungen von Präsident Kiir und dem ehemaligen Vizepräsidenten Machar verursacht worden ist. Aber diese Personen sind vollkommen eingebettet in ihr Sippensystem. Individuelle Handlungen sind nicht einfach nur von Machtgelüsten geleitet, sondern folgen oft einer „ethnischen“ Logik. Das braucht den beteiligten Personen nicht mal bewusst sein.

Die Nuer in unserem County unterstützen alle Riek Machar, der selbst zum Volk der Nuer gehört. Sie erhoffen sich durch ihn Teilhabe an der Macht im Staat und Zugang zu den Einkünften der Ölreserven. Die Nuer wünschen sich auch, dass Machar 2015 zum Präsidenten gewählt wird. Das ist natürlich nach seinem nationalen Amoklauf eine Illusion.

Für fast alle Südsudanesen ist die ethnische Zugehörigkeit wichtiger als die nationale Identität. Die eigene Sippe und Ethnie sorgen traditionell für Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit. Es handelt sich um ein Beziehungsnetz, aus dem man nur schwer austreten kann, selbst wenn jemand sich dem widersetzen möchte. Der Druck der Verwandten ist enorm groß. Jemand, der Geld verdient, hat viele bittende Verwandte. Wie soll ein Politiker, der Staatsgelder verwaltet, reagieren? Am Ende ist es ihm lieber, den Staat zu verraten als die eigene Sippe.

„Für fast alle Südsudanesen ist die ethnische Zugehörigkeit wichtiger als die nationale Identität.“

Was gemeinhin als Korruption und Vetternwirtschaft bezeichnet wird, ist das Grundmuster, wie Ethnien dafür sorgen, dass es allen Mitgliedern gut geht. Die Bevorzugung der eigenen Gruppe und daraus resultierende Konflikte hat es schon immer gegeben. Dieses Verhaltensmuster wird von Politikern lediglich fortgesetzt.

Frage: Die Bischöfe des Südsudan haben Ende Januar in Juba über die angespannte Lage beraten. Sie fordern eine „dringende demokratische Reform“. Wie muss eine solche Reform aussehen?

Schmidt: Mit dem Wort „demokratisch“ assoziieren wir ein Gesellschaftssystem, in dem mündige Bürger sich als Individuen engagieren. Im Südsudan haben die meisten Menschen eine kollektive Weltsicht. Nicht die persönliche Meinung, sondern die Sippe und die Tradition sind maßgeblich. Eine institutionelle politische Reform führt zu nichts, wenn Politiker und Wähler in ihrer ethnischen Gruppe verhaftet sind.

Bild: © P. Gregor Schmidt

Für eine funktionierende Demokratie bedarf es einer Vorstellung vom Individuum als politischem Subjekt und auch eines gewissen Bildungsstandes. Ansonsten ist das Ganze eine Farce, denn politische Willensbildung kann nicht stattfinden. Im Südsudan kann nur eine von fünf Personen lesen. Frauen haben noch weniger Zugang zu Bildung. Es ist wahrscheinlicher, dass ein Mädchen schwanger wird und an den Komplikationen der Geburt stirbt als dass es die Schule beendet. Bis auf Weiteres wird so oder so in der Politik die Perspektive von Frauen kaum vorkommen.

Anstatt westliche Demokratien als Maßstab zu nehmen, ist es im Moment wichtiger, darauf zu achten, dass die Ethnien bei allen Entscheidungen, von denen sie betroffen sind, fair repräsentiert sind. Das ist im Südsudan mit circa 200 Völkern nicht einfach. Desweiteren sollten Staatseinnahmen nicht von der Zentralregierung, sondern lokal dort verwaltet werden, wo Gelder investiert werden sollen.

Das alles zementiert erst mal die ethnische Ordnung. Aber diese wird nicht dadurch überwunden, dass sie geleugnet wird, sondern indem die Probleme angesprochen werden, die damit einhergehen. Niemand soll sich dafür schämen müssen, ethnisch zu fühlen oder danach zu handeln. Alles andere führt zu Heuchelei. Wenn der Staat irgendwann die Grundbedürfnisse seiner Bürger zuverlässig erfüllt und durch allgemeine Bildung ein Kulturwandel eingesetzt hat, wird die Bedeutung der Ethnie von allein schwinden. Und Männer werden es auch akzeptieren, dass Frauen im öffentlichen Leben ihren Platz reklamieren. Den müssen sie sich aber erkämpfen – so, wie es in Kenia und Uganda geschehen ist. Keine Reform kann patriarchales Denken abschaffen.

Frage: Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft des Südsudans? Wird es eine baldige friedliche Lösung geben?

Schmidt: Ich gebe ungern eine Prognose, bin aber eher pessimistisch. Es ist natürlich möglich, dass ein Kompromiss zwischen Präsident Kiir und dem Rebellenführer Machar gefunden wird und zu der Situation zurückgekehrt wird, wie sie vor dem Bürgerkrieg bestand. Dies ist aber keine Lösung und auch kein echter Friede, selbst wenn es wieder „friedlich“ ist.

„Nur ein Präsident einer unbeteiligten Minderheit könnte glaubhaft vermitteln.“

Wenn sich die internationale Gemeinschaft damit begnügt, dass es irgendwie ruhig bleibt, dann ist für die Menschen nichts dabei gewonnen – und irgendwann kommt es wieder zum Knall. Da ich nicht sehe, wie die Interessengegensätze ausgeglichen werden können, erwarte ich nichts Gutes für das Land in nächster Zukunft.

Präsident Kiir möchte 2015 eine zweite Amtsperiode antreten. Bisher hat er die Kontrolle, das durchzusetzen. Es würde aber bedeuten, dass der nationale Versöhnungsprozess unmöglich gemacht wird. Nur ein Präsident einer unbeteiligten Minderheit könnte glaubhaft vermitteln.

Was die christliche Arbeit betrifft, so hoffe ich, dass sie Früchte bringt. Dies lässt sich aber nicht wie ein Projekt in einem vorgegebenen Zeitraum implementieren. Die Kirche atmet im Rhythmus von Generationen. Daher glaube ich, dass es lange dauern wird, bis die Werte des Evangeliums in der Gesellschaft verwurzelt sind und die Glaubensgemeinschaft eine stärkere Identität ist als die eigene Ethnie.

Die Medien haben leider nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Aber das, was wirklich dem Friedensprozess in der Gesellschaft dient, ist die tägliche unscheinbare Arbeit von zivilen und kirchlichen Gruppen, die gewaltfrei Versöhnungsarbeit leisten.

Das Interview führte Lena Kretschmann.

Hinweis

Die hier veröffentlichten Passagen sind Auszüge aus einem fünfseitigen Interview, das das Internetportal Weltkirche mit Pater Gregor führte. Das Interview können Sie hier in voller Länge lesen:

Christliche Verkündigung mitten im Bürgerkrieg

Im Interview mit dem Institut für Weltkirche und Mission (10.02.2014) spricht Pater Gregor über seine Missionsarbeit bei den Nuer:

Hintergrund

Im Rundbrief von Pater Gregor vom 8. Januar 2014 lesen Sie eine umfangreiche Analyse der Ursachen des Konflikts im Südsudan: Rundbrief lesen Ein weiteres Hintergrundpapier finden Sie beim Netzwerk Afrika Deutschland (NAD): Hintergrund lesen Nachrichten aus dem Südsudan – zusammengefasst von Pater Gregor und seinem Mitbruder Raymondo Rocha: Nachrichten lesen Botschaft des südsudanesischen Kirchenrats zu den Machtkämpfen in Juba (DOC) (17.12.2013): Botschaft lesen