
Im Kreislauf der Gewalt
Plünderungen, Raub, Mord, Entführungen und Vergewaltigungen: Die Lage in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) ist katastrophal. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die Seleka – eine Koalition mehrerer muslimischer Rebellengruppen – gegen den Präsidenten Francois Bozize putschte und die Macht im Land übernahm. Im Dezember 2013 setzten christlich geprägte Anti-Balaka-Milizen zum Gegenschlag an und rächten sich an der muslimischen Bevölkerung. Der emeritierte Bischof Peter Marzinkowski hält die aktuellen Gräueltaten zwischen Christen und Muslimen für „ein Produkt und nicht den Grund der Rebellion“.
Aktualisiert: 12.07.2015
Lesedauer:
Plünderungen, Raub, Mord, Entführungen und Vergewaltigungen: Die Lage in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) ist katastrophal. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die Seleka – eine Koalition mehrerer muslimischer Rebellengruppen – gegen den Präsidenten Francois Bozize putschte und die Macht im Land übernahm. Im Dezember 2013 setzten christlich geprägte Anti-Balaka-Milizen zum Gegenschlag an und rächten sich an der muslimischen Bevölkerung. Der emeritierte Bischof Peter Marzinkowski hält die aktuellen Gräueltaten zwischen Christen und Muslimen für „ein Produkt und nicht den Grund der Rebellion“.
Etwa 2,5 Millionen Menschen in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, 700.000 Binnenvertriebene sind innerhalb des Landes auf der Flucht, rund 250.000 Menschen haben sich in die Nachbarländer Kamerun, Tschad, Demokratische Republik Kongo und Republik Kongo gerettet.

Seitdem im Januar eine neue Übergangspräsidentin gewählt wurde, scheint sich die Lage etwas zu entspannen. „Die Sicherheitssituation ist jedoch weiterhin sehr fragil“, heißt es aus dem Bundesentwicklungsministerium in Berlin.
Einer, der die Zentralafrikanische Republik wie kaum ein Zweiter in Deutschland kennt, ist der emeritierte Bischof Peter Marzinkowski. Fast vier Jahrzehnte seines Lebens verbrachte der heute 75 Jahre alte Spiritanerpater als Missionar in dem zentralafrikanischen Binnenland. 2004 wurde er Bischof des neu gegründeten Bistums Alindao im Süden des Landes. Seit Januar ist Marzinkowski zurück in Deutschland, im Seminar seines Ordens im nordrhein-westfälischen Knechtsteden.
Christen gegen Muslime – aber kein Religionskrieg
„Seit 1960, der Unabhängigkeit der Zentralafrikanischen Republik, ist das Land konfrontiert mit politischer Instabilität, Aufständen und Staatsstreichen“, sagt Marzinkowski. Gründe hierfür sind seiner Ansicht nach schwache Regierungsführung, Vetternwirtschaft, Benachteiligung bestimmter Gruppen und die Korruption der politischen Klasse. Europa und vor allem der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich hält Marzinkowski vor, mitschuldig an der instabilen Lage zu sein. Ihnen sei es stets um politischen Einfluss und um alte Machtpositionen gegangen, die mit der Unabhängigkeit verloren wurden. Die aktuellen Gräueltaten zwischen Christen und Muslimen hält Marzinkowski für „ein Produkt und nicht den Grund der Rebellion“. Er wehrt sich dagegen, von einem religiösen Konflikt in der ZAR zu sprechen.
„Wir kamen mit den Muslimen überall gut zurecht und haben sehr gut mit ihnen zusammengearbeitet. Viele Muslime waren Geschäftsleute. Sie hatten im ganzen Land mehr und mehr die Franzosen und Portugiesen abgelöst, die bis zur Unabhängigkeit das Monopol im Handel hatten. Vor allem die kleinen Geschäfte und Läden waren in der Hand von Muslimen.“ Marzinkowski berichtet von unvorstellbaren Taten des Anti-Balaka-Mobs gegen Muslime: „Sie schlachteten alles was muslimisch ist systematisch ab und machten auch vor Frauen und Kindern nicht halt“, erzählt er.
Die überlebenden Muslime seien jetzt zu einem großen Teil außer Landes geflohen oder fänden Schutz in Flüchtlingslagern rund um den Flughafen der Hauptstadt Bangui. Viele Menschen suchten auch Zuflucht in den Kirchen des Landes, fanden Unterkunft und Schutz bei Priestern und Ordensleuten. „Das alleine zeigt doch auch, dass es sich um keinen religiösen Konflikt handelt“, betont der emeritierte Bischof.
„Es ist die Armut, die auch die Bevölkerung aus dem Landesinneren zu Aufständischen, zu Rebellen gemacht hat.“
Rache als Triebfeder
Das Entwicklungsministerium bestätigt Marzinkowskis Ansicht: „Der gegenwärtigen Krise in der ZAR liegt nicht primär ein religiöser Konflikt zwischen Muslimen und Christen zugrunde“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Hauptauslöser der Krise seien vielmehr mangelnde staatliche Autorität und fehlende Machtmittel gewesen, um die Übergriffe der muslimischen Ex-Seleka-Milizen auf eine überwiegend christliche Zivilbevölkerung zu beenden. „Nunmehr sind es christliche Milizen, die gegen eine Minderheit der Muslime vorgehen, wobei die wesentliche Triebfeder Rache ist“, heißt es aus Berlin: Der politische Konflikt habe sich zunehmend zu einem Konflikt entwickelt, „der entlang religiöser und ethnischer Trennungslinien ausgefochten wird“.
Als Ursprung der Konflikte in der ZAR wertet Bischof Marzinkowski die bittere Armut in dem Land. „Es ist die Armut, die auch die Bevölkerung aus dem Landesinneren zu Aufständischen, zu Rebellen gemacht hat.“ Ziel der neuen Übergangsregierung und auch der internationalen Hilfe müsse es nun sein, der Armut und der Not der Bevölkerung zu begegnen. „Was wir heute in der ZAR brauchen ist eine Kultur der Staatsbürgerschaft, der Demokratie, der guten Regierungsführung, des Friedens und des Allgemeinwohls“, mahnt Marzinkowski.
Von Antje Pöhner
Hintergrund
Ein Hintergrundpapier des Netzwerks Afrika Deutschland (NAD) zur Machtübernahme in der Zentralafrikanischen Republik können Sie hier als PDF herunterladen: