Die Kinder von Romenie

Die Kinder von Romenie

Mit großen Augen schauen sie mich an. Und es sind große Erwartungen, die unausgesprochen im Raum stehen. Eine 13-Jährige mit ihrem kleinen Bruder schaut aus dem Fenster ihrer Hütte im Dorf Romenie in der Nähe von Port Loko, einer Stadt in Sierra Leone. Wieder einmal sehe ich junge Menschen hart vom Ebola-Schicksal getroffen.

Erstellt: 23.10.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Mit großen Augen schauen sie mich an. Und es sind große Erwartungen, die unausgesprochen im Raum stehen. Eine 13-Jährige mit ihrem kleinen Bruder schaut aus dem Fenster ihrer Hütte im Dorf Romenie in der Nähe von Port Loko, einer Stadt in Sierra Leone. Wieder einmal sehe ich junge Menschen hart vom Ebola-Schicksal getroffen.

Die Eltern wurden vor einer Woche tot im Haus geborgen und von Männern in Vollschutzkleidung beerdigt. Seitdem sind die Kinder sich selbst überlassen und haben die Hütte nicht mehr verlassen. Die meisten der Dorfbewohner sind geflüchtet oder am Virus gestorben. Ich versuche im Abstand von fünf Metern Kontakt zu den Kindern aufzunehmen. Sie schauen an mir vorbei, als würden sie mich nicht wahrnehmen. Meine Rufe bleiben unbeantwortet. Ich weine; hocke mich auf einen Holzstumpf. Warum? Warum diese Kinder? Warum kann ich ihnen dieses Leid nicht nehmen?

„Warum? Warum diese Kinder? Warum kann ich ihnen dieses Leid nicht nehmen?“

Bild: © Krojer/Don Bosco Mission

Halbherzig und beschämend

Meine Rufe an die internationale Gemeinschaft bleiben ebenso unerhört. Pausenlos rufen mich Journalisten an und wollen neue Einschätzungen zur Lage; Gastkommentare, wie dieser hier. Ich werde nicht müde nach mehr mobilen Krankenhäusern, nach Laboren, nach Isolationsstationen und natürlich nach qualifiziertem Personal zu bitten, zu flehen, zu betteln. Viel zu langsam, halbherzig, beschämend finde ich das, was die internationale Gemeinschaft tut. Als moralisch verwerflich empfinde ich die zögerliche Haltung der Regierungen bei der Bekämpfung der Epidemie. Willenserklärungen und Koordinatoren auf allen Ebenen: Ministerialebene, Bundesebene und nun auch auf europäischer Ebene. Moralisch verwerflich deswegen, weil die Regierungen vorhandene Hilfsmöglichkeiten, die nun vor Ort dringend gebraucht werden, nicht einsetzen. Das Problem ist nicht die Koordination, sondern der fehlende Wille!

„Viel zu langsam, halbherzig, beschämend finde ich das, was die internationale Gemeinschaft tut.“

Bild: © Krojer/Don Bosco Mission

Einfach da sein

Umso größer sind nun die Erwartungen der Menschen an die Ordensleute der Salesianer Don Boscos in Sierra Leone . Bereits während dem Rebellenkrieg fanden Kindersoldaten und Opfer des Krieges Heimat in der größten Jugendhilfeeinrichtung von Sierra Leone, Don Bosco Fambul . Auch heute sind wir für junge benachteiligte Menschen da. Jederzeit. Nicht nur zu Freudenzeiten, auch dann wenn es brennt. So wie jetzt wieder. Wir sind da und verkörpern den alttestamentlichen Gottesnamen Jahwe. Einfach da sein. Gottes Werkzeug sein mit all unseren Macken. Wir hören zu am kostenfreien Kinderberatungstelefon . Wir weinen mit, wenn Kinder ihre Eltern verloren haben. Wir teilen das Leid und das Essen, wenn Kinder in der Quarantäne alleine sind und hungern. Wir schauen hin und kehren den Kindern nicht den Rücken zu. Wir nehmen junge Menschen in unseren Häusern auf, wenn sie nach ihrer Heilung von ihren eigenen Familien ausgeschlossen werden.

„Ohne die Erfahrung, dass wir lieben können, da Er uns zuerst geliebt hat, geht es nicht.“

Nur da sein und nicht weglaufen, ist mehr denn je gefragt. Und die Kraft schöpfen wir vor allem aus dem Glauben. So wie Gott für uns da ist, können wir für die jungen Menschen da sein. Ohne die Erfahrung, dass wir lieben können, da Er uns zuerst geliebt hat, geht es nicht. Das ist keine erfundene Himmelskomik, sondern erfahrbare Wirklichkeit. Nur so wird unser Glaubenszeugnis glaubwürdig, unser Leben erträglich. Und so schaue ich auch – wie die Kinder von Romenie – das Kreuz und unser Kreuz in diesen Tagen mit großen Augen an und kann kaum mehr Worte finden. Meine Gebete sind verstummt. Nur das Leid der Kinder lässt mich an Jesus erinnern, dass er auch in dieser schweren Zeit präsent ist. So wird das Stummsein der Kinder in der Hütte von Romenie ein unüberhörbarer Schrei an die Gottheit und die Menschheit nach Gerechtigkeit und Menschenwürde.

Von Bruder Lothar Wagner

Spenden

„Mit den Menschen sein" heißt das Programm von Don Bosco Fambul gegen Ebola, das zunächst bis Dezember 2014 läuft. Wenn Sie Bruder Lothar und sein Team finanziell unterstützen möchten, können Sie hier spenden: Konto: Don Bosco Mission IBAN DE92 3706 0193 0022 378 0 15 BIC GENODED1PAX Pax-Bank Köln Stichwort: Sierra Leone oder online unter: