„Versöhnung erscheint als Utopie“

„Versöhnung erscheint als Utopie“

Südsudan ‐ Der Südsudan kommt nicht zur Ruhe. Trotz eines Friedensabkommens zwischen Regierung und Opposition stehen die Waffen nicht still. Die Bevölkerung leidet unter den blutigen Kämpfen - und unter dem Hunger. Das berichtet der Comboni-Pater Gregor Schmidt. Im Interview spricht er über die dramatische Lage und über die Folgen internationaler Hilfe im Land.

Erstellt: 15.06.2016
Aktualisiert: 30.11.2022
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Seit Jahrzehnten kommt die Region Südsudan nicht zur Ruhe. Trotz des Friedensabkommens zwischen dem Machthaber Salva Kiir und seinem Kontrahenten Riek Machar stehen die Waffen nicht still. Die Bevölkerung leidet unter den blutigen Kämpfen - und unter dem Hunger. Der aus Berlin stammende Comboni-Missionar Pater Gregor Schmidt lebt seit März 2009 im jüngsten Staat der Erde. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage im Land und über die Rolle der UN-Friedenstruppen im Konflikt.

Frage: Wie ist die aktuelle politische Lage im Südsudan?

P. Gregor Schmidt: Wir befinden uns in einer sehr angespannten Situation. In vielen Teilen des Landes werden dieses Jahr immer noch die Schulen geschlossen bleiben und keine Felder bestellt werden. Das letzte ausgehandelte Friedensabkommen wird nur unzureichend umgesetzt. Das Verhalten von Präsident Salva Kiir und dem Oppositionsführer Riek Machar macht den Eindruck, dass beide nur pro forma unterschrieben haben. Nach meinem Eindruck favorisiert das Abkommen die Position der Opposition ein wenig, weswegen die Regierung nicht geneigt ist, konkrete Schritte zu tun.

Als Zeichen des guten Willens hat der Präsident seinem Kontrahenten Riek Machar sein altes Amt als Vizepräsident zurückgegeben und ihn aufgerufen, seine Arbeit in der Hauptstadt Juba aufzunehmen. Dieser ist dann mit über 1.500 Soldaten und Leibwächtern eingetroffen, nachdem die beiden Seiten lange darüber gestritten haben, welche Art von Waffen Riek Machar mitbringen darf. Die beiden Kontrahenten sind sich einig, dass es zwar eine Wahrheitskommission, aber keine Verurteilung von Kriegsverbrechern geben soll. Damit schützen sich die beiden vor allem selbst.

Bild: © Gregor Schmidt

Frage: Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf die Bevölkerung?

Schmidt: Die wirtschaftliche Tragödie spitzt sich immer weiter zu. Die Preise haben sich innerhalb des letzten Jahres mehr als verzehnfacht und die Inflation nimmt an Geschwindigkeit auf. Um Gehälter zu bezahlen druckt die Regierung massiv neues Geld. Es ist überhaupt ein Wunder, dass das System noch nicht zusammengebrochen ist. Auf allen politischen Ebenen – von der Regierung angefangen bis zur lokalen Verwaltung – versagt der Staat. Aber das macht vielleicht lediglich deutlich, wie wenig er vor dem Konflikt geleistet hat. Wesentliche Dienstleistungen wie medizinische Versorgung und Bildung funktionieren seit Jahren nur in privater Trägerschaft oder mit Hilfe von internationalen nicht-staatlichen Akteuren wie UNICEF und der WHO.

Ich lebe im Oppositionsgebiet auf dem Land. Die Leute sagen offen, dass wir uns immer noch im Krieg befinden. Im März wurde wieder zwangsrekrutiert – auch Minderjährige. Das lässt darauf schließen, dass es zu neuen Kämpfen kommen kann. Aus Sicht der Opposition handelt es sich um Selbstverteidigung, damit das Militär und die Milizen der Regierung aus Nuer-Siedlungsgebieten vertrieben werden. Das Volk der Nuer ist die größte Oppositionsgruppe. Die Dinka dominieren die Regierung.

Frage: Welche Projekte betreibt der Comboni-Orden im Südsudan?

Schmidt: Die Comboni-Missionare haben vielfältige Arbeitsfelder im Südsudan – auf beiden Seiten der verfeindeten Gruppen. In den meisten Orten ist uns eine Pfarrei vom Ortsbischof anvertraut worden. Neben dem Gemeindeaufbau und der Glaubensverkündigung haben die meisten Comboni-Gemeinschaften Bildungsprojekte, d. h. Schulen, Alphabetisierungsprogramme, handwerkliche Ausbildung, usw. Ungefähr drei Viertel der Südsudanesen können nicht lesen oder schreiben. An mehreren Orten haben wir Schulen gegründet, die mittlerweile in lokale Hände übergeben worden sind. Wir betreiben auch ein eigenes Krankenhaus und kooperieren mit einem weiteren Krankenhaus. Unter unseren Comboni-Brüdern haben wir drei Ärzte und zwei Krankenpfleger.

Frage: Wie gehen die Comboni-Missionare mit dem ethnischen Konflikt zwischen Dinka und Nuer um?

Schmidt: In unserer Arbeit in diesem kriegsgebeutelten Land setzen wir uns für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung ein. Als Kirche glauben wir, dass Jesus Christus der Friedensbringer ist, der Menschen untereinander und mit Gott versöhnt. Leider ist die ethnische Segmentierung so stark, dass viele Nuer und Dinka – selbst wenn sie der gleichen Kirche angehören – dafür beten, Gott möge der eigenen Gruppe zum Sieg verhelfen. Versöhnung erscheint als Utopie. Immerhin profitiert die Ökumene vor Ort: Nuer-Katholiken fühlen sich eher mit Nuer-Protestanten im Glauben verbunden als mit Dinka-Katholiken. Bei den Protestanten ist das genauso.

Es gibt natürlich auch Stimmen, die den ethnischen Konflikt beenden wollen. Die können sich aber nicht durchsetzen. Da muss die Arbeit der Comboni-Missionare ansetzen, mit Geduld und Weitsicht das Evangelium zu verkünden. Das ist kein Projekt, welches in einem festgelegten Zeitraum abgeschlossen ist. Wenn ich hier vom „ethnischen Konflikt“ rede, meine ich nicht einfach gewalttätige Auseinandersetzungen und Krieg, sondern die dahinter liegende Grundeinstellung, andere Ethnien als minderwertig zu betrachten.

Bild: © Gregor Schmidt

Frage: Wie helfen die Vereinten Nationen vor Ort?

Schmidt: Südsudan ist die größte UN-Mission (UNMISS) in der Welt mit ca. 12.000 Blauhelmen. Es ist ein Staat im Staat, der von der Regierung vielleicht auch als Besatzungsmacht wahrgenommen wird. Im Allgemeinen ist die Bevölkerung aber sehr dankbar. Es gibt mittlerweile über 2,4 Millionen Flüchtlinge, von denen mehr als 200.000 in UNO-Lagern innerhalb des Südsudans versorgt werden. Es gibt noch mehr Flüchtlingscamps für Südsudanesen in den Nachbarländern.

Die Lager sind dort notwendig, wo Völker gemischt leben und die Minderheit vor der Mehrheit geschützt werden muss. So lebt z. B. fast die gesamte Nuer-Bevölkerung der Hauptstadt Juba in drei Lagern, weil dort die Dinka die Kontrolle haben. Anfangs wurden Flüchtlinge gemischt in Camps untergebracht, weil man die ethnische Dimension des Konfliktes nicht wahrhaben wollte. Da sich die Leute aber auch in den UNO-Lagern bekämpft und umgebracht haben, gibt es jetzt nur noch Flüchtlingscamps bzw. Sektoren innerhalb der Camps, die nach Volksgruppen getrennt sind.

Nach Schätzungen sind 2016 über fünf Millionen Menschen von Hunger bedroht, weil sie durch den Krieg keine Felder bestellen können. Das Welternährungsprogramm (WFP) verteilt regelmäßig Nahrungsmittel und kooperiert mit Partnerorganisationen, um Familien zu registrieren. Im schulischen, medizinischen und sanitären Bereich arbeiten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF auch mit lokalen Partnern zusammen.

Frage: Wie bewerten Sie die UN-Mission im Südsudan?

Schmidt: Das UNO-Mandat beinhaltet, die Sicherheit von Menschen in Flüchtlingslagern zu garantieren. Doch immer wieder greifen regierungsnahe Soldatenverbände und Kämpfer der Opposition die Lager der Vereinten Nationen an, ermorden und verwunden Flüchtlinge und sogar Blauhelm-Soldaten. Wenn es hart auf hart kommt, ist die UNO nicht ausgerüstet, Zivilisten zu schützen. 

Zudem sind Einsätze der Vereinten Nationen unverhältnismäßig teuer, weil Ausgaben für Gehälter und Strukturen enorm hoch sind. Über die Hälfte der Gelder wird nur dafür verwendet, den Apparat am Laufen zu halten.Ein weiteres Problem betrifft den Bildungsbereich. Da es in einer Krisensituation nur humanitäre Hilfe gibt, sind Projekte in der Regel auf sechs Monate begrenzt. Auf diese Weise lässt sich nicht einmal ein volles Schuljahr verlässlich planen. Was unsere Region braucht, ist eine mittelfristige Vision von fünf bis zehn Jahren für die Schulen. Die kurze Aufmerksamkeitsspanne ist nicht nachhaltig.

Die UNO ist auch naiv, wenn es um die Verwendung von Nahrungsmitteln geht. Es wird behauptet, dass alle Lebensmittel umsonst und direkt an die Bevölkerung verteilt werden. Wie andere Waren gehen Nahrungsspenden aber sofort in den Wirtschaftskreislauf. Überall kann man original-verpackte Nahrung mit dem Aufdruck „do not sell“ kaufen. In einer Ortschaft hat das Militär alles konfisziert, nachdem die UNO-Beobachter abgeflogen waren. Die Bevölkerung war trotzdem froh, denn wenigstens haben die Soldaten sich nicht mehr den Familien zum Essen aufgezwängt, sondern hatten jetzt ihre eigene Versorgung. Es ist leider so, dass die Nahrungsspenden der UNO auf diese Weise den Krieg verlängern. Aber vermutlich wäre die Alternative noch unmenschlicher.

Die Beispiele in diesem Absatz sind nicht als Kritik gemeint, sondern eine Aufforderung, die Folgen von UNO-Hilfe öffentlich zu diskutieren. 

Das Interview führte Leonardo Da Riz.

© weltkirche.katholisch.de

Interview in voller Länge

Die Fragen an P. Gregor Schmidt stellte der Schweizer Schüler Leonardo Da Riz für seinen Aufsatz „Kritik an der Arbeit der UNO am Beispiel des Südsudankonflikts“. Das Interview wurde von der Redaktion in gekürzter Fassung veröffentlicht. Das gesamte Interview können Sie hier als PDF herunterladen: