Dieudonne Nzapalainga – Der Kampf eines Kardinals um Frieden
Afrika ‐ Der Erzbischof von Bangui in der Zentralafrikanischen Republik predigt unermüdlich Frieden in einem vom Krieg heimgesuchten Land. Sein Mut macht ihn zu einem der meistgehörten Männer in der Region.
Aktualisiert: 14.07.2020
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Der Erzbischof von Bangui in der Zentralafrikanischen Republik predigt unermüdlich Frieden in einem vom Krieg heimgesuchten Land. Sein Mut macht ihn zu einem der meistgehörten Männer in der Region.
Im Buschdorf Nana-Bakassa feiert Dieudonne Nzapalainga eine Messe unter der bereits hoch stehenden Sonne. Vor dem Altar, der unter einer einfachen Plane aufgestellt ist, spricht er Zuhörer an, die von einer Gruppe von Anti-Balaka-Milizionären als Geiseln genommen wurden. Und er weiß, dass sich auch junge Milizsoldaten unter das Publikum gemischt haben. „Gerechtigkeit wird langsam geschehen, aber sie wird geschehen“, sagt Nzapalainga. „Früher waren sie Bauern, dann haben sie zu den Waffen gegriffen und nennen sich jetzt Oberst oder General. Aber Vorsicht – im Gefängnis in Bangui habe ich viele Generäle gesehen!“
In seiner Predigt mahnt der Erzbischof aus der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik zum Frieden: „Wir beten zum Vater und sagen: 'Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.' Aber wir, die wir ein Elternteil oder unser Haus in dieser Krise verloren haben: Sind wir bereit, dem Anderen zu vergeben?“, fragt er und öffnet seine Arme weit. „Entwaffne dein Herz, und du wirst Frieden haben!“ Nach dem Gottesdienst erklärt er dann: „Unter den Zuhörern sind auch einige an einem Scheideweg. Ich versuche sie zu erreichen, ich sage ihnen: Es ist dein Tag der Befreiung!“
Der Erzbischof ist auf Pastoralbesuch im Bistum Bossangoa im Nordwesten der Zentralafrikanischen Republik. Die Region wurde durch jahrelange Konflikte erschüttert. Im März 2013 marschierten Rebellen der Seleka-Koalition auf die Hauptstadt Bangui. Nachdem sie die Macht übernommen hatten, kehrten sie zurück, um sich in der Präfektur Ouham niederzulassen. Die Gruppe, zumeist Muslime, brachte jene zum Schweigen, die sich nicht beugten.
Als Reaktion wurden Selbstverteidigungsmilizen gebildet, die sogenannten Anti-Balaka. „Darüber hat es Verwirrung gegeben. Die Seleka wurden mit Muslimen und die Anti-Balaka mit Nicht-Muslimen, Christen und Animisten gleichgesetzt“, erklärt Bischof Nestor Nongo. Die Fixierung auf die Religion in einem vor allem politischen Konflikt verselbstständigte sich. Das Eingreifen der französischen Streitkräfte verhinderte ein noch größeres Blutbad.
Den ganzen Nachmittag sitzt Kardinal Nzapalainga im Schatten der großen Bäume neben der heruntergekommenen Kirche von Nana-Bakassa und bringt abwechselnd christliche Religionsführer zusammen. Muslime haben seit 2014 keinen Fuß mehr in die Stadt gesetzt. Auch die Blauhelme der Minusca kamen nicht hierher.
„Hier gibt es keinen Staat mehr“, sagt der Abgeordnete des Bezirks. „Nur die Kirche arbeitet für das Volk. Sie sind unsere Stimme bei der Regierung.“ Bei Einbruch der Dunkelheit macht Kardinal Nzapalainga seine Notizen im Licht einer Taschenlampe. Er wurde im Sommer operiert und sollte sich erholen – doch er arbeitet hart.
Auf einmal platzt der örtliche Brigadekommandant heraus. Seit 2013 und dem Beginn der Krise ist er der einzige Polizist hier, unbewaffnet. Manchmal braucht es zwei Stunden, bis er ein Telefonnetz bekommt. „Ich halte es nicht mehr aus. Ich glaube, ich höre auf“, stöhnt er, den Tränen nahe. „Du bist ein Held“, antwortet der Kardinal. „Wenn wir aufgeben – wer wird dann kommen?“
Am nächsten Tag in Kouki, auf der anderen Seite einer unsichtbaren Grenze. Das Dorf ist eine Festung der Seleka. Der Ruf des Kardinals und sein Charisma haben es möglich gemacht, hier zwei gegnerische Anführer an den Tisch zu bringen. Der schlanke „General“ Alabib (49) gekleidet in ein bodenlanges beiges Gewand, kommandiert die lokale Seleka. Der 20 Jahre jüngere Stanislas Badjima führt 450 Anti-Balaka an.
„Das ist das erste Mal seit zwei Jahren, dass wir im selben Raum sind“, sagt Badjima. Und der Erzbischof bringt es auf den Punkt: „Ihr sagt, ihr wollt Frieden und habt 2017 ein Abkommen unterzeichnet. Aber was habt ihr damit gemacht? Die Bewegungsfreiheit muss von beiden Seiten akzeptiert werden!“ Die Männer heben die Hände, als hätte der Kardinal sie befreit durch eine simple Wahrheit.
Zur Wurzel vordringen
Wie er seine Worte in diesen Zeiten wählt? „Ich bete“, antwortet er schlicht. „Wir kommen nicht mit der Diplomatentasche und einem vorgeschriebenen Text an.“ Man müsse sich Zeit nehmen; zur Wurzel vordringen, mit allen sprechen, selbst mit den schlimmsten Kämpfern. Die Menschen hätten dann ihr eigenes Genie, um Lösungen zu finden.
Dieudonne Nzapalainga wurde am 14. März 1967 in einem armen Bezirk von Bangassou im Süden des Landes als fünftes von zehn Kindern geboren. Seine Strenge und manchmal eine gewisse Härte kommen von seinem Vater, der weder lesen noch schreiben konnte und seine Kinder zum Lernen drängte. „Selbst wenn wir kein Essen hatten, kaufte er das Öl für die Lampe, damit wir abends arbeiten konnten. Darauf legte er größten Wert“, erzählt er.
Ab dem zweiten Jahr finanziert Dieudonne sein Studium als Koch oder Mechaniker. 1993 tritt er in den Spiritanerorden ein, wird zum Studium nach Frankreich geschickt und 1998 zum Priester geweiht. Bis 2005 ist er als Seelsorger in der Pariser Vorstadt und in Marseille, arbeitet mit schwierigen Jugendlichen; dann übernimmt er – als erster Einheimischer – die Regionalleitung seines Ordens in Bangui.
Inmitten einer schweren Krise um finanzielle Unregelmäßigkeiten überträgt ihm Papst Benedikt XVI. 2009 die Leitung des Hauptstadtbistums, zunächst als Apostolischer Administrator (päpstlicher Verwalter). Beim Weltklerus stößt der Ordensmann als Chef zunächst auf Ablehnung; doch er überzeugt. 2012 erhält er die Bischofsweihe.
Und schon bald schlägt eine noch größere Bewährungsprobe: Rebellenangriffe, Bürgerkrieg. Gemeinsam mit dem Präsidenten des zentralafrikanischen Islamrates, Imam Omar Kobine Layama, und dem Leiter der Evangelischen Allianz Nicolas Geurekoyame-Gbangou erteilt der neue Erzbischof im Dezember 2012 dem Anstrich eines Religionskonflikts eine klare Absage. In Ihrer Erklärung heißt es: „Wir erfahren, dass Männer aus religiösen Gründen angegriffen werden. Wir Religionsführer sagen Nein! Lassen Sie niemanden sagen, dass dies ein religiöser Krieg sei.“
Heute betont Hadja Asta Moussa, Präsidentin der Nationalen Vereinigung muslimischer Frauen: „Zum Glück sind die Religionsführer damals früh aufgestanden; sonst hätte es einen Völkermord gegeben.“ 2015 erhielten Nzapalainga und der Imam für ihre entschlossene Friedensallianz in den abwechselnden Phasen des Bürgerkriegs den Aachener Friedenspreis.
„Bereit, hier zu sterben.“
Am 24. März 2013 stößt die Seleka-Koalition auf Bangui vor. „Am Palmsonntag in einem Land mit christlicher Mehrheit! Sie haben es gewagt!“, schimpft Nzapalainga. Tags zuvor war ein ehemaliger Minister zu ihm gekommen, um ihm die Flucht mit einer Piroge in die Demokratische Republik Kongo anzubieten. „Es ist nicht weit – direkt über den Fluss.“ Und er zeigt von seiner Terrasse hinüber. „Ich antwortete ihm: Ich habe mich entschieden, Bischof zu werden, und ich werde meine Gläubigen nicht im Stich lassen. Ich bin bereit, hier zu sterben.“
Am 25. März stehen Rebellen vor seiner Tür, 25 Männer, bis an die Zähne bewaffnet. Doch er sagt zu ihnen: „Hier ist das Haus Gottes, ich möchte nicht, dass Blut fließt. Jetzt bitte ich euch zu gehen.“ Mehrfach hat Nzapalainga in diesen Monaten eine Waffe an seinem Kopf. Doch in einem so religiösen Land wie der Zentralafrikanischen Republik hat ein Mann Gottes manchmal mehr Macht als ein Kriegsherr.
Als ein Kämpfer, von dem er die Rückgabe zweier gestohlener Caritas-Motorräder verlangt, seine Waffe auf ihn richtet, erwidert der Erzbischof: „Hör zu, ich habe bereits gelebt. Du kannst mich töten, ich gehe, um Gott zu finden, den ich liebe. Ich warte dort auf dich. Dann kannst du ihm erklären, was du getan hast. Na los, schieß!“ Der Kämpfer hat es nicht gewagt.
Immer wieder hat Papst Franziskus erklärt, wie er die Würde eines Kardinals versteht: Der trage Rot, weil er bereit sein müsse, mit seinem Leben für seinen Glauben und seine Herde einzustehen. Bei seinem Besuch in Bangui im November 2015 kann sich der Papst selbst ein Bild von Nzapalaingas interreligiösem Einsatz machen. Er tauscht Friedensgrüße mit dem Imam und dem Leiter der Evangelischen Allianz. Und 2016 macht er den damals 49-jährigen Erzbischof von Bangui zum Kardinal, als ersten Zentralafrikaner und zum derzeit jüngsten Mitglied des Kollegiums.
Den Christen in seinem Land fällt es manchmal schwer, Nzapalaingas Forderungen nach Frieden und Vergebung zu verdauen. Nach so viel Gewalt, so viel Verlust, so vielen Provokationen und Schmähungen. Aber er wird nicht damit aufhören. Da ist einer, der mit seinem Leben für den Frieden einsteht.
Von Laurence Desjoyaux und Alexander Brüggemann (KNA)
© Text: KNA