„Friedliche Wahlen sind Schlüssel für Überwindung der politischen Krise“

„Friedliche Wahlen sind Schlüssel für Überwindung der politischen Krise“

Bolivien ‐ Unter Corona-Bedingungen wird in Bolivien heute ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Für Bolivien-Experte und Adveniat-Chef Pater Michael Heinz eine Chance, auf demokratischem Wege einen großen Schritt aus der innenpolitischen Krise zu machen.

Erstellt: 18.10.2020
Aktualisiert: 15.11.2022
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Gut ein Jahr nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen haben die rund 7,3 Millionen Wählerinnen und Wähler in Bolivien heute die Chance auf demokratischem Wege einen großen Schritt aus der innenpolitischen Krise zu machen. „Angesichts der tiefen politischen und gesellschaftlichen Gräben sind friedliche und transparente Wahlen der einzige Schlüssel, die innenpolitische Krise zu überwinden“, sagt Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Michael Heinz mit Blick auf die Neuwahlen. Der Leiter des Lateinamerika-Hilfswerkes hat selbst zehn Jahre in Bolivien gelebt.

Adveniat schließt sich damit einem gemeinsamen Aufruf der Bolivianischen Bischofskonferenz, der Delegation der Europäischen Union und des Büros der Vereinten Nationen im Land an. In ihrem eindringlichen Appell rufen die Institutionen die politischen Akteure, insbesondere die Kandidaten und ihre Anhänger und Sympathisanten, dazu auf, zu einem Klima des Friedens und der Toleranz beizutragen, das in diesem entscheidenden und historischen Moment für das demokratische Leben im Land notwendig ist. Zuletzt kam es immer wieder zu zum Teil gewalttätigen Protesten.

Ganz gleich wer aus den Präsidentschaftswahlen heute oder in einer eventuell notwendigen Stichwahl als Sieger hervorgeht, die Aufgaben für die künftige Regierung des südamerikanischen Landes sind enorm. Mit Blick auf die aktuelle Feuersbrunst im artenreichen UNESCO-Weltnaturerbe Pantanal, das sich über Brasilien, Paraguay und Bolivien erstreckt, sagt Pater Heinz: „Das Pantanal brennt. Die mutmaßlich von Menschen und ihrer Profitgier ausgelöste Brandkatastrophe hat verheerende Folgen für das wertvolle Ökosystem. Deswegen muss die neue Regierung den Schutz der Indigenen und der Umwelt ganz oben auf ihre Agenda setzen. Auch Deutschland sollte hierzu einen Beitrag leisten, indem es die ILO-Konvention 169 ratifiziert, die den indigenen Völkern der Erde rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten garantiert.“

Daneben warten weitere große Herausforderungen: Bolivien brauche laut Pater Heinz dringend eine unabhängige Justiz, die nicht wie zuletzt vom jeweils regierenden Lager dafür missbraucht wird, um politische Gegner zu verfolgen. „Ganz aktuell muss die neue Regierung auch das Corona-Krisen-Management besser und effektiver organisieren“, sagt der Adveniat-Chef. Bolivien zählt der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge bislang 8.308 Corona-Todesfälle (Stand: 13. Oktober). Das Gesundheitssystem ist komplett überfordert. Im Rahmen der Corona-Nothilfe hat Adveniat die bolivianischen Projektpartner mit mehr als einer halben Million Euro unterstützt. „Ganz wichtig für die Akzeptanz der neuen Regierung ist auch, dass sie mit Blick auf die international begehrten Lithium-Vorkommen des Landes sozial gerechte und ökologisch vertretbare Lösungen findet“, sagt Pater Heinz. Lithium wird für die Produktion von Akkus von Smartphones und Elektroautos benötigt.

Die meisten Umfragen sagen eine Stichwahl zwischen dem sozialistischen Kandidaten Luis Arce und dem konservativen Herausforderer Carlos Mesa voraus. Diese würde am 29. November stattfinden. Bolivien wurde nach der Präsidentschaftswahl am 20. Oktober 2019 von heftigen Unruhen erschüttert. Die Kandidatur des damaligen Präsidenten Evo Morales war nach einem verloren gegangenen Referendum über eine dazu notwendige Verfassungsänderung umstritten. Nach den Präsidentschaftswahlen warf die Opposition dem seit 2006 regierenden Morales Wahlbetrug vor. Eine Wahlbeobachter-Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sprach in einem Bericht von schwerwiegenden Manipulationsversuchen und empfahl Neuwahlen. Morales trat daraufhin zurück, ging zunächst nach Mexiko und später nach Argentinien ins Exil. Unter Berufung auf neue Studien aus den USA weist Morales inzwischen die Vorwürfe zurück und spricht von einem Putsch gegen ihn.

© Text: Adveniat