Frieden ‐ Bei einem Friedenstreffen am Dienstagabend in Rom haben Papst Franziskus und andere Religionsvertreter Gläubige aller Religionen zu noch mehr Einsatz für Frieden aufgerufen. Gott werde jeden dementsprechend „zur Rechenschaft ziehen“, so der Papst.

Erstellt: 21.10.2020
Aktualisiert: 21.10.2020
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Bei einem Friedenstreffen am Dienstagabend in Rom haben Papst Franziskus und andere Religionsvertreter Gläubige aller Religionen zu noch mehr Einsatz für Frieden aufgerufen. Kriegen und Konflikten, die durch die Pandemie verschärft wurden, ein Ende zu setzen, sei insbesondere „eine unaufschiebbare Pflicht aller politischen Verantwortungsträger“, so Franziskus. Gott werde jeden dementsprechend „zur Rechenschaft ziehen“. Es ist die erste öffentliche Veranstaltung seit Beginn des Lockdown in Italien, zu der Franziskus den Vatikan verlassen hat.

Die Welt habe heute „einen brennenden Durst nach Frieden“, so der Papst weiter. Allerdings könne kein Volk Frieden, Sicherheit und Glück allein erreichen. Frieden sei nur durch Kooperation, Dialog und Geschwisterlichkeit möglich, lautete eine durchgehende Mahnung auch aller anderen Sprecher aus Judentum, Hinduismus und Buddhismus. Zudem, so der Papst weiter, zeige das Treffen in Rom deutlich, „dass die Religionen keinen Krieg wollen, sondern vielmehr alle, die Gewalt religiös zu verklären suchen, Lügen strafen“.

Großimam Ahmad Al-Tayyeb von Kairo verurteilte in einer verlesenen Rede den islamistischen Terroranschlag von Paris. Als Großimam der Al-Azhar erkläre er „vor dem allmächtigen Gott, dass ich mich sowie die Lehren des Islam und des Propheten von dieser abscheulichen kriminellen Tat distanziere und von allen, die solche abweichenden, falschen Gedanken annehmen“.

Gleichzeitig verurteilte er es, wenn „unter dem Slogan der Meinungsfreiheit“ Religionen beleidigt und ihre Symbole missbraucht würden. Im Übrigen habe die Pandemie die trügerischen Versprechen der bisherigen Globalisierung entlarvt. Statt dessen gelte es, sich gegen die mit ihr verbundene Ausbeutung, kulturelle Gleichmacherei und Diskriminierung zu wehren. Es sei eine Zeit für eine neue Globalisierung, die auf Geschwisterlichkeit beruhe.

Patriarch Bartholomaios I., Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, forderte angesichts der Pandemie neue Maßnahmen gegen die ökologische Krise des Planeten. „Die Zeit der ökologischen Moden, ihrer Idealisierung oder schlimmer noch, ihrer Ideologisierung, ist vorbei“, so Bartholomaios. Es sei Zeit, endlich zu handeln. Dazu gehöre es auch, „eine rein säkulare soziokulturelle Ordnung“ zu untergraben und in ihr „das göttliche Fragment“ zu spüren.

Nach den Ansprachen der Religionsvertreter wurde in einer Schweigeminute der Toten der Pandemie und der Kriege in diesem Jahr gedacht. In einem abschließend unterzeichneten Friedensappell heißt es: „Es ist erneut Zeit für die kühne Vision, dass Friede möglich ist, dass eine Welt ohne Krieg keine Illusion ist.“ Darin appellieren die Unterzeichner „an die Regierenden, die Sprache der Spaltung zurückzuweisen, die sich oft aus Gefühlen der Angst und des Misstrauens nährt“.

Zu Beginn des Treffens hatte jede Glaubensgemeinschaft für sich ein Friedensgebet in der eigenen Tradition gehalten. An dem von der Gemeinschaft Sant'Egidio jährlich organisierten interreligiösen Treffen, das wegen der Pandemie auf einen Nachmittag verkürzt worden war, nahmen nach Veranstalterangaben rund 600 geladene Gäste physisch teil. Zudem hätten weltweit Tausende die Live-Übertragung im Internet verfolgt.

Friedensappell

Die KNA dokumentiert den Friedensappell in der offiziellen Übersetzung:

 

„FRIEDENSAPPELL

Wir sind hier in Rom im 'Geist von Assisi' zusammengekommen, geistlich verbunden mit den Glaubenden in aller Welt und mit allen Frauen und Männern guten Willens vereint. So haben wir Seite an Seite gebetet, um die Gabe des Friedens auf unsere Erde herabzuflehen. Wir gedachten der Wunden der Menschheit; wir tragen im Herzen das stille Gebet so vieler Leidender, die viel zu oft ohne Namen und ohne Stimme sind. Aus diesem Grunde fühlen wir uns verpflichtet, diesen Friedensappell zu leben und ihn den Verantwortlichen der Staaten wie auch den Bürgerinnen und Bürgern der ganzen Welt feierlich zu unterbreiten.

Auf diesem Kapitolsplatz haben kurz nach dem Ende des größten kriegerischen Konflikts, den die Geschichte je gekannt hat, die einst kriegführenden Nationen ein Bündnis geschlossen, das auf einer Vision der Einheit gründete und im vereinten Europa Wirklichkeit wurde. Heute, in dieser Zeit der Orientierungslosigkeit und getroffen von den Folgen der Covid-19- Pandemie, die den Frieden durch die Ausbreitung von Ungleichheit und Angst bedroht, sagen wir mit Nachdruck: Keiner kann sich allein retten, kein Volk, niemand!

Die Kriege und der Frieden, die Pandemien und die Gesundheit, der Hunger und der Zugang zur Nahrung, die globale Erwärmung und die Nachhaltigkeit der Entwicklung, die Wanderung von Bevölkerungsgruppen, die Beseitigung der nuklearen Gefahr und die Verringerung der Ungleichheit betreffen nicht nur einzelne Nationen. Das verstehen wir heute besser, in einer Welt, die total verbunden ist, aber oft den Sinn für die Geschwisterlichkeit verliert. Wir alle sind Brüder und Schwestern! Wir bitten den Höchsten, dass es nach dieser Zeit der Prüfung nicht mehr „die anderen“, sondern ein großes, vielfältiges „Wir“ gibt. Es ist erneut Zeit für die kühne Vision, dass der Friede möglich ist, dass eine Welt ohne Krieg keine Illusion ist. Deshalb wollen wir noch einmal sagen: „Nie wieder Krieg!“.

Leider scheint der Krieg für viele wieder ein möglicher Weg zur Lösung internationaler Streitigkeiten zu sein. Das ist aber nicht so. Bevor es zu spät ist, wollen wir alle daran erinnern, dass die Welt nach einem Krieg immer schlechter sein wird, als sie vorher war. Der Krieg ist ein Scheitern der Politik und der Menschlichkeit.

Wir appellieren an die Regierenden, dass sie die Sprache der Spaltung zurückweisen, die sich oft aus Gefühlen der Angst und des Misstrauens nährt. Sie mögen sich nicht auf Wege begeben, die keine Umkehr kennen. Schauen wir gemeinsam auf die Opfer. Es gibt so viele, zu viele noch offene Konflikte.

Den Verantwortlichen der Staaten sagen wir: Lasst uns gemeinsam an einer neuen Architektur des Friedens arbeiten. Vereinen wir unsere Kräfte für das Leben, für die Gesundheit, für die Erziehung und für den Frieden! Der Zeitpunkt ist gekommen, dass die Ressourcen, die eingesetzt wurden, um immer zerstörerischere, todbringende Waffen herzustellen, jetzt genutzt werden, um für das Leben einzutreten und für die Menschen sowie für unser gemeinsames Haus Sorge zu tragen. Verlieren wir keine Zeit! Beginnen wir mit erreichbaren Zielen: vereinen wir fortan unsere Anstrengungen, um der Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten, solange es noch keinen geeigneten, allgemein verfügbaren Impfstoff gibt! Diese Pandemie macht uns deutlich, dass wir alle blutsverwandt, Schwestern und Brüder sind.

Zu allen Glaubenden und zu den Frauen und Männern guten Willens sagen wir: Seien wir kreativ und werden wir zu Handwerkern des Friedens; bauen wir soziale Freundschaft auf; machen wir uns eine Kultur des Dialogs zu eigen! Der aufrichtige, beharrliche und mutige Dialog ist das Heilmittel gegen das Misstrauen, gegen die Spaltungen und gegen die Gewalt. Der Dialog löst von der Wurzel her die Ursachen der Kriege auf, die das Projekt der Geschwisterlichkeit zerstören, das zutiefst zur Berufung der Menschheitsfamilie gehört.

Keiner kann sich dem entziehen. Wir sind alle mitverantwortlich. Wir alle haben es nötig, zu vergeben und um Vergebung bitten. Die Ungerechtigkeiten der Welt und der Geschichte heilen nicht durch Hass und Rache, sondern durch Dialog und Vergebung. Gott gebe uns allen diese Ideale ein für den Weg, den wir gemeinsam gehen; er berühre die Herzen aller und mache uns zu Boten des Friedens.

Rom, auf dem Kapitol, 20. Oktober 2020“

© Text: KNA