Steigende Corona-Gefahr in Afrika

Steigende Corona-Gefahr in Afrika

Pandemie ‐ Während in wohlhabenden Staaten der Welt die Impfungen gegen das Corona-Virus angelaufen sind, müssen die meisten Bürgerinnen und Bürger Afrikas darauf noch Monate oder gar Jahre warten. Die Afrikanische Union hat auf dem Kontinent bislang 3,3 Millionen Infektionen erfasst.

Erstellt: 25.01.2021
Aktualisiert: 25.01.2021
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Während in wohlhabenden Staaten die Impfungen gegen das Corona-Virus angelaufen sind, müssen die meisten Bürgerinnen und Bürger Afrikas darauf noch Monate oder gar Jahre warten. Außer auf den Seychellen und in Guinea wird auf dem Kontinent aktuell nirgendwo Impfstoff zur Vermeidung einer COVID-19-Infektion verabreicht. Das Infektionsgeschehen nimmt unterdessen in Afrika nach vergleichsweise mildem Beginn stark zu. Zahlen der Afrikanischen Union zufolge wurden inzwischen 3,3 Millionen Infektionen erfasst, fast 82.000 Menschen starben bislang an deren Folgen.

Besonders dramatisch ist die Situation aktuell in Südafrika. Dort haben sich mittlerweile rund 1,37 Millionen Menschen mit dem Corona-Virus angesteckt. Nach Angaben von Désiré Nzisabira, Leiter der Dialog- und Verbindungsstelle von Misereor in Johannesburg, sind in vielen Krankenhäusern des Landes die Intensivstationen überfüllt. „Dadurch ist es teilweise nicht mehr möglich, Menschen mit anderen lebensbedrohlichen Krankheiten außer COVID-19 die notwendige Behandlung zukommen zu lassen. Und wo es noch freie Intensivbetten gibt, fehlt oft das Personal, da viele Menschen aus den Gesundheitsberufen während der ersten Welle dem Corona-Virus zum Opfer gefallen sind.“

„Keine Arbeit, kein Essen“

Laut Piet Reijer vom Missionsärztlichen Institut (MI) in Würzburg haben in Südafrika im Zuge der Pandemie mehr als drei Millionen Menschen ihre Arbeit verloren. „Systeme, den damit verbundenen Einkommensverlust zu kompensieren, sind praktisch nicht vorhanden, insbesondere nicht für jene Menschen, die informellen und damit ungeregelten und nicht abgesicherten Beschäftigungen nachgehen.“ Auf den Straßen häuften sich die Bettler mit Schildern wie „Keine Arbeit, kein Essen, bitte helft mir!“. Nzisabira bringt es auf den Punkt: „Corona bedeutet für die Verletzlichsten, die unter der Armutsgrenze leben, oft Hunger, Obdachlosigkeit, keine Bildung und Arbeit und womöglich sogar den Tod.“

Aus der Demokratischen Republik Kongo berichtet die dortige Leiterin der Misereor-Dialog- und Verbindungsstelle, Ursula Kölbel: „Das Gesundheitssystem ist auch ohne Pandemie überfordert. Besonders auf dem Land fehlt es an Infrastruktur, gut ausgebildetem und bezahltem Personal sowie Medikamenten. Mittlerweile sind wenigstens in der Hauptstadt Kinshasa und weiteren großen Städten einige Krankenhäuser mit Beatmungsgeräten ausgestattet.“ Ohne externe finanzielle Unterstützung werde es sicherlich nicht möglich sein, die erforderlichen technischen Voraussetzungen für das Impfen zu schaffen. Besonders die Kühlung der Impfstoffe werde eine große Herausforderung sein.

Kongo kämpft auch mit anderen Epidemien

Sabine Gies, Ärztin am MI, betont: „Die Pandemie trifft im Kongo ein sowieso schon schwaches Gesundheitssystem, das allerdings im Umgang mit Ausbrüchen infektiöser Krankheiten sehr viel Erfahrung hat. Drei Ebola-Ausbrüche konnten in den letzten drei Jahren glücklicherweise eingedämmt werden. 2020 gab es daneben Ausbrüche von Polio, Masern, Cholera, Pest und Affenpocken. Deren Eindämmung wurde durch die Pandemie stark behindert, die geplante Polio-Impfkampagne mit Tür-zu-Tür-Impfungen musste ausfallen. Auch bei den Basisgesundheitsdiensten gibt es schwere Einbrüche.“ Schon jetzt decke der Staat nur circa zehn Prozent der Kosten im Gesundheitssektor, 40 Prozent bezahlten die Patienten direkt, die restlichen 50 Prozent würden durch nationale und internationale Geber finanziert. Die zusätzlichen Investitionen seien ohne internationale Hilfe nicht zu stemmen. „Zur nötigen Infrastruktur gehören außerdem Strom und Wasser“, unterstreicht Gies. „In den vorhandenen COVID-19-Behandlungszentren in Kinshasa wird immer wieder über Stromausfälle berichtet. Unter diesen Bedingungen sind Beatmungsgeräte lebensgefährlich.“

Kooperieren statt konkurrieren

Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel erneuert angesichts der Benachteiligung vieler Länder des globalen Südens bei der Verfügbarkeit von Impfstoffen seine Forderung nach mehr Impfgerechtigkeit und einer fairen und flächendeckenden Verteilung der Impfpräparate. „Die Armgemachten und Verletzlichsten müssen dabei eine Priorität haben“, sagt der Misereor-Chef und bezieht sich dabei auch auf gleichlautende Forderungen einer COVID-19-Kommission im Vatikan. Papst Franziskus hatte kürzlich an die Regierungen in aller Welt appelliert, der Versuchung eines „Impfnationalismus“ zu widerstehen und sie dazu gedrängt, in der Impf-Frage zu kooperieren anstatt zu konkurrieren. Es sei für alle eine moralische Verpflichtung, Impfstoffe als globales Gut zu behandeln. So auch der WHO-Chef Tedros A. Ghebreyesus: „Die Welt steht am Rande eines katastrophalen moralischen Versagens.“

Das könne laut Spiegel konkret bedeuten, dass Regierungen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) darin stärken, globale Impfprogramme zu koordinieren und wissenschaftlich zu begleiten sowie Forschungs- und Produktionskapazitäten auch in Afrika aufzubauen. Impfstoff-Hersteller könnten zudem befristet auf Patenteinnahmen verzichten und Gewinne, die über Forschung und Herstellung hinaus gehen, der COVAX-Initiative der WHO zur Verfügung stellen, mit der flächendeckende Impfungen rasch ermöglicht werden sollen.

Spiegel mahnt zudem, über das Impfthema hinaus die tieferen Ursachen der Corona-Pandemie entschlossen anzugehen. Die Viruskrise habe andere große Krisen der Menschheit insbesondere auf sozialem und ökologischem Gebiet wie unter einem Brennglas verschärft deutlich gemacht.

© Text: Misereor