Brasilien überschreitet Marke einer halben Million Corona-Toten
Südamerika ‐ Bei derzeit über 2.000 neuen Opfern täglich wird das Land bald schon die USA als Land mit den weltweit höchsten Todeszahlen ablösen, rechnen Virologen vor. Landesweit gedachten Katholiken am Samstag unter dem Motto „Jedes Leben zählt“ der Opfer.
Aktualisiert: 19.09.2022
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Brasilien hat die Marke von einer halben Million Corona-Toten überschritten. Bei derzeit über 2.000 neuen Opfern täglich wird das Land bald schon die USA als Land mit den weltweit höchsten Todeszahlen ablösen, rechnen Virologen vor. Landesweit gedachten Katholiken am Samstag unter dem Motto „Jedes Leben zählt“ der Opfer. Präsident Jair Messias Bolsonaro setzt jedoch seine Kampagne gegen Impfstoffe fort.
Experten zeigen sich beunruhigt über die hohe Zahl von Neuinfektionen: Mit 98.135 Fällen innerhalb von 24 Stunden wurde am Freitag ein absoluter Tagesrekord aufgestellt. Nachdem die Todes- und Infektionszahlen seit Ende April leicht gesunken waren, geht es nun wieder aufwärts. Von einer neuen Welle will die Mikrobiologin Natalia Pasternak jedoch nicht reden. Brasilien verharre vielmehr auf einem hohen Niveau mit eventuellen Anstiegen.
„Es erinnert mich an einen Tsunami, bei dem wir immer wieder hohe Wellen mittendrin haben, es danach aber nicht wirklich runter geht“, sagte Pasternak der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mittlerweile sei es für die Brasilianer fast normal, dass täglich 2.000 Todesfälle hinzukämen. Aufgrund der schleppenden Impfkampagne – bisher sind erst rund elf Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft – sei eine Prognose über den weiteren Pandemieverlauf schwierig.
Für die Wissenschaftlerin liegt die Verantwortung für das Massensterben bei der Regierung Bolsonaro. „Was hier in Brasilien falsch gelaufen ist, war die Art, wie diese Regierung, die die Erkenntnisse zum Coronavirus leugnet, die Pandemie gemanagt hat. Sie geht vollkommen unvorbereitet an die Arbeit und hilft damit dem Virus.“ So habe Bolsonaro darauf gewettet, dass sich rasch ein Großteil der Bevölkerung anstecken und damit die Herdenimmunität erreicht werden würde.
Cloroquin und Wurmmittel statt Impfdosen
„Damit glaubte er sich aus dem Schneider, glaubte, dass Impfstoffe und vorbeugende Maßnahmen unnötig seien“, so die Expertin. „Gleichzeitig würde er damit die Wirtschaft retten, und setzte dafür auf Wundermittel, um die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen.“
Der rechtspopulistische Präsident hatte das Virus stets kleingeredet; Maßnahmen von Bürgermeistern und Gouverneuren sabotiert und gar mit dem Einsatz des Militärs gedroht, um Lockdowns zu beenden. Am Donnerstag erklärte der Ex-Militär, die Infektion mit dem Coronavirus erzeuge eine wirksamere Immunisierung als die Impfungen. Zur Bekämpfung der Krankheit empfiehlt er weiterhin das Malariamittel Chloroquin und ein Wurmmittel.
Mittlerweile befasst sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Senats mit der Reaktion der Regierung auf die Pandemie. Dabei kam heraus, dass Bolsonaro Mitte 2020 mehrere Angebote von Biontech/Pfizer über Millionen von Impfdosen ignorierte. Erst seit März versuche die Regierung ernsthaft, Vakzine zu beschaffen.
Bevölkerung Amazoniens als Testpersonen missbraucht?
Der frühere Gesundheitsminister Eduardo Pazuello muss gar mit strafrechtlichen Folgen rechnen. Auf den Zusammenbruch der Sauerstoffversorgung von Corona-Patienten in der Amazonasregion im Januar hatte die Regierung mit der Lieferung des unwirksamen Medikamenten-Cocktails geantwortet – und damit die Bevölkerung Amazoniens als Testpersonen missbraucht und den Tod von Tausenden von Bürgern hingenommen, erklärte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses.
Für die Opfer des Virus wurde am Samstag in den Kirchen gebetet. Es gehe auch darum, daran zu erinnern, wie wichtig es ist, Gesichtsmasken zu tragen und die Regeln des Social Distancing einzuhalten, sagte Bruder Olavio Dotto von der Sozialpastoral der Bischofskonferenz der KNA. „Gleichzeitig wollen wir der Regierung klarmachen, dass die Impfkampagne unbedingt beschleunigt werden muss.“ Sie richte sich auch an die Opfer der coronabedingten Wirtschaftskrise. Auch ihnen wolle man Hoffnung geben, so Dotto.
Er kritisierte die Haltung vieler evangelikalen, mit Präsident Bolsonaro verbündeten Kirchen, die ihre Gotteshäuser trotz der Pandemie offengehalten hatten – und damit den Infektionen Vorschub leisteten. Die katholische Kirche hatte hingegen die Maßnahmen der lokalen Regierungen unterstützt und die Kirchen lange geschlossen gehalten. „Die evangelikalen Pfingstkirchen haben nun mal ihr eigenes Geschäftsmodell, müssen offenbleiben, um Spenden einnehmen zu können“, so Dotto. „Und viele von ihnen folgen Bolsonaro und leugnen die Schwere der Pandemie. Oder preisen gar Wundermittel an.“
Von Thomas Milz (KNA)
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