Aus Sicherheitsgründen hat Papst Tawadros seine öffentlichen Mittwochskatechesen in der Markus-Kathedrale ausgesetzt. Sein Name findet sich zusammen mit denen von Armeechef al-Sissi und von Übergangspräsident Adly Mansour auf einer anonymen Todesliste. Anfang August bezichtigte dann Ayman al-Zawahiri, der aus Ägypten stammende Führer von al-Qa’ida und Nachfolger Usama bin Ladens, die Christen Ägyptens zusammen mit den US-Amerikanern des Komplotts gegen die Regierung der Muslimbrüder. Christen wollten im Süden Ägyptens einen christlichen Staat gründen. Eine völlig haltlose Behauptung - dennoch kommt es im Anschluss in Oberägypten zur Erstürmung von Kirchen durch Islamisten; in Sohag wird eine Fahne von al-Qa’ida auf dem Kirchengebäude gehisst. In der Nähe von Minia werden christliche Wohnhäuser angegriffen. In Sohag wird ein katholischer Christ getötet, in Kairo ein zehnjähriges Mädchen beim Verlassen einer evangelischen Kirche erschossen.
Gestern über 20 Angriffe auf Kirchen und christliche Einrichtungen
Und auch beim Vorgehen der Armee gegen die Protestlager der Muslimbrüder entlädt sich die Wut der Islamisten wieder an den Christen. Partner des katholischen Missionswerks
Missio in Aachen
berichten, dass am gestrigen Mittwoch allein 22 Kirchen im ganzen Land angegriffen wurden. Betroffen sind unter anderem Kloster und Schule der Schwestern vom Guten Hirten in Suez, Kirche und Konvent der Jesuiten in Minia, die katholische Basilika in Kairo-Heliopolis und viele andere. Das koptisch-katholische Patriarchat hat alle Gottesdienste zum heutigen Fest Mariä Himmelfahrt aus Sicherheitsgründen abgesagt. Dennoch finden sich viele, vor allem junge Christen an ihren Kirchen ein, um sie vor Angriffen zu schützen. „Ich gehe meine Kirche mit meinem Blut zu schützen“, schreibt ein junger Christ aus Beni Suef, etwa 150 Kilometer südlich von Kairo, „ohne Furcht vor den Terroristen. Ich habe keine Angst, denn der König des Alls ist mit uns. Das ist das Mindeste, was ich für meine Kirche tun kann.“
Armee und Übergangsregierung haben Fehler gemacht
Die Entwicklungen der vergangenen Wochen und erst recht den vergangenen Stunden lassen befürchten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in Ägypten in größter Gefahr ist. Zwar haben Armee und Übergangsregierung schwere Fehler gemacht, indem sie seit dem Sturz von Präsident Mursi die Muslimbrüder verfolgt haben, wie es zu Zeiten von Hosni Mubarak der Fall gewesen war. Damit haben sie den gleichen Fehler begangen, die die Demonstranten der Protestbewegung gegen Präsident Mursi den Muslimbrüdern vorgeworfen hatten: nicht auf gesellschaftlichen Konsens, sondern auf Spaltung zu setzen. Christen dürfen aber nicht zum Sündenbock für Fehler von Regierung und Militär gemacht werden. Indem sie den Hass auf die Christen des Landes schüren, wollen sich Muslimbrüder und Islamisten Anhänger verschaffen. Blickt man auf die vergangenen Stunden, droht diese Rechnung aufzugehen. Bleibt nur zu hoffen, dass auf beiden Seiten schnell wieder Besonnenheit einkehrt und die Mahnrufe von christlichen und islamischen Vertretern zur Einheit gehört werden.
Von Matthias Vogt