Studie belegt schwere Missbrauchs-Vorwürfe gegen Bischof Stehle
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Früherer Bischof und Adveniat-Geschäftsführer

Studie belegt schwere Missbrauchs-Vorwürfe gegen Bischof Stehle

Bonn ‐ Für viele Katholiken war er eine Autorität. Emil Stehle war bestens vernetzt in Lateinamerika und im Vatikan. Eine neue Studie belegt, dass er selbst Missbrauchstäter war und andere schützte.

Erstellt: 08.08.2022
Aktualisiert: 21.09.2022
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Er war ein international bestens vernetzter und hoch angesehener katholischer Priester. Der 1926 in Mülhausen nahe des Bodensees geborene Emil Stehle hatte von 1977 bis 1988 als Geschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat beste Drähte zu den Bischofskonferenzen und Politikern in Lateinamerika. Ab 1983 auch Weihbischof im Erzbistum Quito und seit 1987 Bischof der Diözese Santo Domingo de los Colorados in Ecuador, erhielt er wegen seiner Verdienste um den Friedensprozess in El Salvador und wegen der Befreiung von sieben deutschen Aufbauhelfern in Nicaragua 1986 das Große Verdienstkreuz. Wegen seiner Vermittlung im Bürgerkrieg in El Salvador wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Stehle war befreundet mit dem charismatischen Priester und späteren Guerilla-Führer Camilo Torres.

Dieser gute Ruf des 2017 gestorbenen Geistlichen ist gründlich zerstört. Eine am Montag von der Deutschen Bischofskonferenz und Adveniat veröffentlichte Studie wirft Stehle Übergriffe und sexuellen Missbrauch bis hin zu Vergewaltigungen Minderjähriger in 16 Fällen vor. Zudem soll er dafür gesorgt haben, dass mindestens drei Priester, davon zwei Missbrauchstäter, aus Deutschland in Lateinamerika vor Strafverfolgung geschützt wurden.

Einer breiten Öffentlichkeit wurden Vorwürfe gegen Stehle im vergangenen September bekannt. Die damals vorgestellte Studie zu sexueller Gewalt im Bistum Hildesheim warf ihm vor, an der Vertuschung von Missbrauchstaten eines Hildesheimer Priesters mitgewirkt zu haben, indem er diesen im Ausland einsetzte.

Das war kein Einzelfall: Nach der Veröffentlichung meldeten sich erste Betroffene, die von sexuellem Fehlverhalten durch Stehle selbst berichteten. Zudem wurde bekannt, dass im Erzbistum Freiburg bereits 2005 der Hinweis einer Betroffenen auf „übergriffiges und grenzüberschreitendes Verhalten“ durch den Geistlichen eingegangen war. In diesem Zusammenhang sollen auch Kardinal Karl Lehmann als Vorsitzender der Bischofskonferenz und der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch informiert worden sein. Auch das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz soll bereits 2003/2004 eine Mail über Stehles Übergriffigkeit erhalten haben – eine Mitteilung, die laut Bericht nicht mehr auffindbar ist. Fest steht: Stehles Fehlverhalten wurde erst 2021 öffentlich gemacht.

Ins Blickfeld geriet damit auch die von den deutschen Bischöfen eingerichtete Koordinationsstelle „Fidei Donum“, deren Geschäftsführer Stehle von 1972 bis 1984 war. Durch sie sind seit den 1960er-Jahren etwa 400 Priester aus Deutschland eine zeitlang nach Lateinamerika entsandt worden. Für Stehle ein idealer Weg, Priester, die in Deutschland strafrechtlich verfolgt wurden, durch Pseudonyme, Tarnadressen und Unterhaltshilfen den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.

Die Vorwürfe sexueller Übergriffe durch Stehle selbst ziehen sich von seiner Zeit als Priester in Kolumbien bis hin zu seinem Wirken als Weihbischof und Bischof in Ecuador. Stehle habe sich oft unter Zuhilfenahme von Alkohol seinen Opfern genähert, heißt es im Bericht, der deutlich macht, dass Stehles Nähe zu jungen Frauen hinter vorgehaltener Hand häufig Thema bei Mitarbeitern und Bekannten war. Zu den Betroffenen gehört auch eine Frau, die möglicherweise von Stehle selbst gezeugt wurde.

Gravierende Konsequenzen hatten die Taten nicht. Im Jahr 2002 nach seiner Emeritierung wieder ins Erzbistum Freiburg zurückgekehrt, soll er nach der Meldung 2005 zumindest grenzüberschreitendes Verhalten eingeräumt haben. Ihm sei deshalb jegliche Tätigkeit im diözesanen Auftrag untersagt worden, heißt es im Bericht. Zudem hat er gegenüber einer Frau möglicherweise ein schriftliches Schuldbekenntnis abgegeben und ein Schmerzensgeld gezahlt. 2006 erkrankte Stehle schwer und war bis zu seinem Tod 2017 pflegebedürftig.

In ihrem Bericht macht die Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen deutlich, dass es möglicherweise weitere sexuelle Übergriffe Stehles und weitere Vertuschungsaktionen gegeben haben könnte. Zur Motivation Stehles schreibt die Rechtsanwältin, das Thema „Klerikalismus“ spiele eine zentrale Rolle. Es sei Stehle um die Stärkung eines „priesterlichen Männerbundes“ gegangen. Er habe jeden eingeladen, der Priester in Lateinamerika sein wollte – ohne dabei auf seelsorgliche Qualifikationen oder Bereitschaft zur Einhaltung von Regeln zu achten.

Für die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Beate Gilles, steht fest: „Der Untersuchungsbericht ist kein Schlusspunkt, sondern wird noch zu klärende Konsequenzen nach sich ziehen.“ Auch die Entsendung von Priestern und anderen pastoralen Mitarbeitern müsse kritisch überdacht werden.

Von KNA