Syriens Nachbarn tragen die Hauptlast

Syriens Nachbarn tragen die Hauptlast

Nach seiner Rückkehr aus dem Norden des Iraks, auch in vom IS befreiten Gebieten, und dem Libanon appelliert Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon an die Regierungen in Deutschland und Europa, weiteren Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren und ihnen den Aufenthalt und die Integration zu erleichtern.

Erstellt: 04.02.2015
Aktualisiert: 17.02.2023
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Nach seiner Rückkehr aus dem Norden des Iraks, auch in vom IS befreiten Gebieten, und dem Libanon appelliert Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon an die Regierungen in Deutschland und Europa, weiteren Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren und ihnen den Aufenthalt und die Integration zu erleichtern.

„Nach Deutschland sind seit 2011 rund 79.000 syrische Flüchtlinge gekommen, in der EU haben gerade einmal vier Prozent aller 3,8 Millionen syrischen Flüchtlinge Aufnahme gefunden. Die Flüchtlingssituation im Libanon und im Irak ist dagegen dramatisch. Allein im Libanon sind in den vergangenen Jahren mindestens 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak angekommen. Demgegenüber steht eine Bevölkerungszahl von 4,5 Millionen Libanesen, das heißt: mehr als ein Drittel der Bevölkerung im Libanon sind Flüchtlinge. Der Libanon hat im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung prozentual die weltweit höchste Flüchtlingszahl. Im Norden des Iraks sieht es ähnlich aus. Dort halten sich momentan im kurdischen Autonomiegebiet allein 1,3 Millionen Flüchtlinge auf“, so Bröckelmann-Simon.

Flüchtlingsdebatte in Deutschland unverhältnismäßig

„Die Menschen in Deutschland haben pro Kopf und Jahr durch das Asylbewerberleistungsgesetz derzeit 18,50 Euro für die Versorgung von Flüchtlingen zu tragen“, sagte der Misereor-Geschäftsführer. Dagegen seien die Belastungen durch Flüchtlinge für die Aufnahme-Länder im Nahen und Mittleren Osten enorm groß, die dortigen Bildungssysteme würden doppelt belastet. Der Libanon hatte nach Misereor-Angaben durch die Flüchtlingssituation von 2012 bis 2014 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von drei Prozent und damit einen Einnahmeverlust von 2,6 Milliarden Dollar zu verkraften. Jordanien habe durch die Flüchtlinge 850 Millionen Dollar zusätzliche Bildungsausgaben.

Bild: © Harms/Misereor

Bildung für Flüchtlingskinder

Doch trotz allem bemühten sich diese Länder, einem großen Teil der Flüchtlingskinder weiterhin Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Vormittags werden die einheimischen Kinder unterrichtet, in Nachmittagsschichten werden hunderttausende syrische und irakische Kinder und Jugendliche unterrichtet. Trotzdem gibt es viele Flüchtlingskinder, die keinen Schulplatz haben. „Daher unterstützten wir zum Beispiel im Libanon und in Jordanien Projekte, die Schulunterricht und Kindergartenbetreuung anbieten“, so Bröckelmann-Simon.

Die Misereor-Partnerorganisation „Pontifical Mission Libanon“ organisiert für 350 muslimische Kinder in der libanesischen Bekaa-Ebene Bildung, Beschäftigung und Freizeitangebote. „Die Kleinen lernen Sprachen, Rechnen und Schreiben, haben aber auch die Möglichkeit, durch Rollenspiele, malen und basteln das Erlebte in ihren von Krieg und Terror geprägten Heimatländern zu verarbeiten. In einem armen christlichen Dorf, das ich besucht habe, und dessen Einwohnerzahl sich durch die sunnitischen Flüchtlinge glatt verdoppelt hat, ist beeindruckend viel Solidarität und Engagement für die angekommenen Menschen zu erleben“, so der Misereor-Geschäftsführer.

Europa in der Pflicht

Auch den Erwachsenen wird der Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten nicht verwehrt. „Sowohl im Irak als auch im Libanon haben wir erlebt, dass viele der Flüchtlinge selber Geld verdienen können und damit zumindest die Chance haben, die Flüchtlingslager zu verlassen und in ordentliche Wohnungen zu ziehen. Damit wird diesen Menschen für die Dauer ihres Aufenthaltes eine Chance gegeben, selber ihre Leben zu gestalten und nicht untätig auf Hilfe zu warten. Das müsste uns in Deutschland auch zu denken geben“, so Bröckelmann-Simon.

„Insgesamt müssen wir in Europa, gemessen an unseren finanziellen Möglichkeiten, weitaus mehr Flüchtlinge aufnehmen und diesen eine echte Chance zur Integration bieten. Wir können angesichts der Realität im Nahen und Mittleren Osten die Belastungen nicht allein den Nachbarländern aufbürden. Das würde auf kurze Sicht die Lage auch in diesen Ländern weiter destabilisieren und zu neuen Konflikten führen.“

Flüchtlinge im Nahen und Mittleren Osten

Mehr Informationen über die Nothilfe, die Misereor im Nordirak leistet, und Möglichkeiten zu spenden erhalten Sie auf der Webseite des Hilfswerks: