Bischof Hinder über die Christen in Arabien
Arabien ‐ Er ist bekannt als der „Bischof von Arabien“. Paul Hinder lebt in Abu Dhabi und ist seit über zehn Jahren als Apostolischer Vikar für die Christen auf der Arabischen Halbinsel zuständig. Im Interview erklärt er, vor welchen Herausforderungen die christliche Minderheit dort steht.
Aktualisiert: 02.12.2022
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Der Kapuziner Paul Hinder (74) ist der katholische Bischof für Südarabien. Im Interview des KNA-Partnerportals kath.ch berichtet er von den Herausforderungen für die christliche Minderheit in dem muslimischen Land und warnt vor einer zunehmenden Säkularisierung in Europa.
Frage: Bischof Hinder, wie lebt man als christliche Minderheit in einem Land mit muslimischer Mehrheit?
Hinder: 85 Prozent der Bevölkerung in den Arabischen Emiraten sind Ausländer; darunter sind die Christen eine wichtige Minderheit. Sie machen etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Christen haben denselben Status wie alle Ausländer: Wir sind auf begrenzte Zeit und zum Arbeiten da. Ein Visum wird für maximal drei Jahre erteilt und muss immer wieder erneuert werden.
Frage: Wie frei können Christen ihre Religion leben?
Hinder: In den Emiraten und im Oman gibt es Religionsfreiheit, allerdings mit Einschränkungen. Man kann zum Beispiel nicht irgendwo im Freien einen Gottesdienst feiern. Platzmangel ist bei uns ein häufiges Problem. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es acht Pfarreien für nahezu eine Million Katholiken. Da wären wir manchmal sehr froh, irgendwo ein Lokal mieten zu können. Aber das ist nicht so leicht.
Frage: Die Gläubigen kommen demnach oft in die Kirche?
Hinder: Ja. Die neue Paulus-Kirche im Viertel Mussafah in Abu Dhabi hat etwa 1.400 Plätze. Kürzlich feierten wir dort den ersten Jahrestag der Kirchenweihe. Die Kirche war voll, und draußen standen noch etwa 500 Menschen.
Frage: Was zeichnet Ihre Migrantenkirche sonst noch aus?
Hinder: Erfreulich sind sicher das außerordentlich große Engagement und die religiöse Praxis der Gläubigen. Mir sagen Bischöfe der Heimatländer, dass die Leute bei uns aktiver seien. Der Glaube ist für sie ein Stück Heimat. In der muslimisch geprägten Diaspora wird vielleicht etwas reaktiviert, was sonst nicht im gleichen Ausmaß da wäre. Die Gläubigen engagieren sich stark im Religionsunterricht, bei Vorbereitungen oder auch beim Wegräumen von Tausenden Stühlen nach einem Gottesdienst auf dem Kirchengelände.
Frage: In Europa und auch in Ihrer Schweizer Heimat begegnet man Muslimen häufig mit Vorbehalten. Gibt es bei Christen in den Emiraten etwas Vergleichbares?
Bischof Hinder über die Christen in Arabien
„Eine junge und aktive Kirche“
Hinder: Das könnte ich so nicht sagen. Unser Rechtsstatus ist allerdings begrenzt. Wenn sich jemand in der Gesellschaft unpassend verhält, wenn er beispielsweise die Bibel verteilt und Gläubige abwerben möchte, wird er des Landes verwiesen. Die Einheimischen fühlen sich sicher, weil sie wissen, dass die Ausländer nicht allzu viel riskieren können. Auch ich hätte manchmal einiges zu sagen; aber das vergeht einem, weil man weiß, was auf dem Spiel steht.
Frage: Was tun die Staaten der Arabischen Halbinsel angesichts der vielen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten?
Hinder: Sie nehmen relativ wenige auf. In einer Gesellschaft mit so vielen Ausländern ist die Aufnahme von Flüchtlingen, noch dazu aus dem arabischen Raum, problematisch. Die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate aber hat beispielsweise den Irak in der Flüchtlingsarbeit finanziell unterstützt.
Frage: Im Zusammenhang mit der Angst vor einem Erstarken des Islam in Europa haben Sie einmal gesagt: „Das Problem ist nicht die vermeintliche Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Christentums in Europa.“ Wie meinen Sie das?
Hinder: Die Lösung ist nicht, den Islam zu bekämpfen. Die Europäer müssen sich die Frage nach ihren Wurzeln stellen. Dazu gehört eine 2.000-jährige christliche Geschichte. Dieses Erbe ist nicht einfach in Granit gehauen, sondern es kann verdunsten. Das meine ich mit der Schwäche des Christentums.
Frage: Aber gehören denn säkulare Werte wie Solidarität oder Gewaltfreiheit nicht auch zu diesen Wurzeln?
Hinder: Doch – aber können solche Werte bleiben, wenn die Religion, die sie hervorgebracht hat, nicht weiter gepflegt wird? Man kann einen Acker eine Weile brachliegen lassen. Aber es kommt eine Zeit, wo ein Urwald entsteht, wenn man ihn nicht pflegt. Pflege kann heißen, dass man zum Beispiel Kenntnisse über Bibel und Christentum weitergibt.
Frage: Wäre Ihnen also ein islamisches Europa lieber als ein religionsloses, wie Sie in Ihrem Buch sagen?
Hinder: Ich habe dabei einen positiven Islam vor Augen. Mir ist eine Gesellschaft lieber, in der Religion – egal welche – mit einer positiven Konnotation gelebt wird, als eine religionslose.
Frage: Welche positiven Werte verbinden Sie mit dem Islam?
Hinder: Der Islam hat einen ganzen Gürtel von Marokko bis China kulturell geprägt. Dadurch schuf er eine Grundsolidarität innerhalb des Islam. Ein Muslim war für den anderen primär ein Bruder oder eine Schwester. Leider wird das durch die Radikalismen, die jetzt aufgebrochen sind, gestört. Das Gewaltpotenzial im Islam soll man allerdings nicht verneinen. Der Islam hat da noch etwas aufzuarbeiten – wie auch das Christentum etwas aufzuarbeiten hatte.
Frage: Islamophobie ist in Europa und der Schweiz ein zunehmendes Phänomen. Was entgegnen Sie Bürgern, die ihre Angst vor dem Islam ausdrücken?
Hinder: Ich verstehe, dass es Ängste geben kann, gegenüber dem Fremden, gegenüber einer ungewohnten Form von Religion. Die Verunsicherung halte ich für umso größer, je unsicherer man in seiner eigenen religiösen Position ist. Wichtig scheint mir, dass man nicht alle Muslime stigmatisiert für Gewalttaten, die trotz allem von einer zahlenmäßig begrenzten Täterschaft verübt werden. Konkret überwinden lässt sich die Angst am besten, indem man Menschen kennenlernt.
Von Sylvia Stam
© KNA