„Kinder haben die Kraft, die Welt zum Guten zu verändern“
Hilfswerk ‐ Das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ feiert in diesem Jahr sein 175-jähriges Bestehen. Pfarrer Dirk Bingener, Präsident des Kindermissionswerks, spricht im Interview über besondere Momente in der Historie des katholischen Hilfswerks und über die Herausforderungen der Zukunft.
Aktualisiert: 29.01.2021
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Das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ feiert in diesem Jahr sein 175-jähriges Bestehen. Pfarrer Dirk Bingener, Präsident des Kindermissionswerks, spricht im Interview über besondere Momente in der Historie des katholischen Hilfswerks und über die Herausforderungen der Zukunft.
Frage: Herr Pfarrer Bingener, jedes Jahr setzen sich die Sternsinger mit ihrem Engagement für benachteiligte Kinder weltweit ein. Die Geschichte des Kindermissionswerks ‚Die Sternsinger‘ beginnt vor 175 Jahren auch mit dem Einsatz eines Kindes für Gleichaltrige in Not.
Pfarrer Dirk Bingener: Es ist eine großartige Geschichte, die mich ganz persönlich begeistert, denn sie zeigt: Kinder haben die Kraft, die Welt zum Guten zu verändern. Damals, vor 175 Jahren, war es ein 15-jähriges Aachener Mädchen mit dem Namen Auguste von Sartorius, die das Leid von Kindern in armen Teilen der Welt nicht ertragen hat und letztlich den Grundstein für die Gründung des späteren Kindermissionswerks legte. Ein Mädchen, das Widerständen getrotzt hat und ihre Vision von einer gerechteren Welt hartnäckig verfolgt hat. Denn durch das Engagement von Auguste wurde am 2. Februar 1846 in Aachen der „Verein der Heiligen Kindheit" gegründet, das heutige Kindermissionswerk. Und das Besondere an dieser Geschichte ist: Hunderttausende Kinder tragen als Sternsinger die Idee von Auguste bis heute weiter. Die Aktion Dreikönigssingen ist zur weltweit größten Solidaritätsaktion von Kindern für Kinder geworden und Mädchen und Jungen in aller Welt kann durch den Einsatz der Sternsinger geholfen werden.
Frage: Was waren besondere Momente in dieser 175-jährigen Geschichte?
Bingener: In der Historie des Kindermissionswerks – von der Gründung des Vereins der Heiligen Kindheit bis heute – gibt es viele markante Punkte und Ereignisse, die prägend waren und es bis heute sind. Ich denke da zum Beispiel an die Erhebung des Vereins zum Päpstlichen Werk im Jahr 1922 oder an die erste Sternsingeraktion 1959 und den ersten Sternsingerempfang im Bundeskanzleramt im Jahr 1984. Oder die Aufnahme des Sternsingens in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes 2015.
Frage: Was hat das Kindermissionswerk bislang erreicht?
Bingener: Mit Hilfe der finanziellen Unterstützung des Kindermissionswerks haben unsere Projektpartner die Lebenssituation vieler Mädchen und Jungen in den armen Regionen der Welt verbessert. Genau das ist unsere Aufgabe: Wir wollen die Not von Kindern langfristig lindern und sie darin stärken, sich nach ihren Möglichkeiten zu entwickeln und ihre Potentiale zu entfalten, sie aber auch vor Unterdrückung und Ausbeutung schützen. Wir setzen uns für den Schutz und die Rechte der Kinder ein, so wie es schon damals Auguste getan hat. Zum Beispiel für das Recht auf Bildung. Gemeinsam mit unseren Partnern sorgen wir dafür, dass viele Kinder und Jugendliche eine Schule besuchen können. Dadurch steigt für die geförderten Mädchen und Jungen die Chance auf ein besseres Leben und eine höhere gesellschaftlichen Teilhabe.
Die Hilfe für benachteiligte Kinder ist und bleibt eine Mammutaufgabe, der wir uns stellen. Wir lassen Mädchen und Jungen weltweit nicht allein und arbeiten getreu unserem Grundsatz „Kinder helfen Kindern“ weiter mit Hochdruck für eine gerechtere Welt für Kinder. Allein durch den Einsatz der Sternsinger, die seit dem Start der Aktion Dreikönigssingen 1959 rund 1,19 Milliarden Euro sammelten, konnten wir mehr als 75.600 Projekte für Kinder in Afrika, Lateinamerika, Asien, Ozeanien und Osteuropa unterstützen.
Frage: Welchen Herausforderungen muss sich das Hilfswerk der Sternsinger zukünftig stellen?
Bingener: Kriege, Konflikte, Krankheiten oder sogar Pandemien – die Folgen davon sind vor allem für die Kinder und Jugendlichen in den Entwicklungs- und Schwellenländern verheerend. Das haben wir zuletzt an der Corona-Krise gesehen: fehlende Bildung, weil Schulen geschlossen sind, eine Zunahme von Kinderarbeit, weil Eltern ihre Arbeit verloren haben, oder mehr Hunger, weil beispielsweise die kostenlosen Schulspeisungen weggefallen sind. Hier stehen wir mit unserer Hilfe fest an der Seite unserer Partner. Aber auch den Millionen von Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, gilt zukünftig unsere besondere Aufmerksamkeit und Hilfe. Eine weitere Herausforderung, die uns immer mehr beschäftigen wird, sind die Auswirkungen des Klimawandels.
Frage: Inwiefern?
Bingener: Lange Dürreperioden, Wirbelstürme oder Überschwemmungen nehmen zu. Von den Folgen, wie ausfallende Ernten oder Krankheiten wie Cholera oder Malaria, sind besonders Kinder betroffen. Gerade im Bereich der Ernährungssicherung ist es uns ein Anliegen, nicht nur Nahrung bereitzustellen, sondern nachhaltige Anbaumethoden zu unterstützen, beispielsweise durch die Förderung kleinbäuerlicher Initiativen. Wir alle sind in der Verantwortung, uns für unsere Umwelt und die Bewahrung der Schöpfung Gottes einzusetzen.
Frage: Welche Schwerpunkte setzt das Hilfswerk mit Blick auf die Zukunft seiner Arbeit?
Bingener: Im Fokus unseres Handelns steht ein kinderrechtebasierter Ansatz, also der Schutz und der Einsatz für die Rechte der Kinder. Kinder vor Gewalt, sexueller Ausbeutung und Vernachlässigung zu schützen, darauf liegt ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit – und das gilt auch in Zukunft. Zu den besonders schützenswerten Rechten gehört die Bildung – unser größter Förderbereich. Kindern eine angemessene, altersgerechte Bildung und Erziehung zu ermöglichen, dafür setzen sich unsere Partner ein, und wir unterstützen sie dabei. In den jährlich rund 1.600 Projekten in 108 Ländern fördern wir neben der Bildung ebenso Projekte in den Bereichen Gesundheit, soziale Inklusion und Ernährung. Entscheidend ist für uns dabei immer eine nachhaltige, wirkungsvolle Förderung, die die Lebensbedingungen der Kinder langfristig verbessert. Und ganz wichtig: In allen Projekten muss der Kinderschutz gewährleistet sein. Daher unterstützen wir unsere Partner bei der Entwicklung und Anwendung von Kinderschutz-Policies und fördern Präventionsschulungen für Pädagogen, Sozialarbeiter und Kinderpfleger.
Frage: Am 2. Februar feiert das Kindermissionswerk nun sein 175. Jubiläum. Wenn Sie auf die Geschichte des Hilfswerks zurückschauen, was hat Sie persönlich besonders beeindruckt?
Bingener: Am meisten haben mich beim Blick auf die Geschichte bis in die Gegenwart immer die Menschen fasziniert, die mit ihrem Einsatz Kindern in der Einen Welt ein besseres Leben ermöglichen. Dazu zähle ich Auguste von Sartorius ebenso, wie die vielen hunderttausenden Sternsinger und unsere vielen Unterstützer und Spender, die diese großartige Hilfe seit vielen Jahrzehnten überhaupt möglich machen. Besonders beeindruckt bin ich von der Arbeit unserer Projektpartner vor Ort, die oftmals unter schwierigsten Bedingungen Herausragendes leisten, den Mädchen und Jungen effektiv und unmittelbar helfen und ihnen ein Stück Normalität ermöglichen. Ihnen allen gilt ein ganz großer Dank. Sie sind ein Teil dieser 175-jährigen Erfolgsgeschichte. Es ist auch ihr Geburtstag und Feiertag.
© Interview: Kindermissionswerk