Containern von Lebensmitteln soll entkriminalisiert werden
Berlin ‐ Rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Abfall. Wer sie wieder rausholt, macht sich strafbar – noch. Containern soll entkriminalisiert werden. Nur ein Schritt zu weniger Verschwendung.
Aktualisiert: 12.01.2023
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Durch Inflation, Energiekrise und Ukraine-Krieg sind Lebensmittel in Deutschland so teuer geworden wie schon lange nicht mehr. Während kleine Märkte mit teureren Bio-Produkten immer weniger Kundschaft bekamen, nahmen im vergangenen Jahr rund 50 Prozent mehr Menschen die Dienste der Tafeln in Anspruch als noch im Vorjahr.
Darauf seien die Einrichtungen nicht vorbereitet gewesen, sagte der Bundesvorsitzende der Tafeln Jochen Brühl, jüngst dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Zeitweise hatten in diesem Jahr rund 30 Prozent der Tafeln einen Aufnahmestopp.“
Besonders bitter erscheinen diese Zahlen, wenn hinzugerechnet wird, wie viele Lebensmittel eigentlich jährlich in Deutschland unverwertet im Müll landen: Laut Statistischem Bundesamt fielen etwa im Jahr 2020 rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an. Jeder Verbraucher wirft nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Schnitt 78 Kilogramm pro Jahr weg. Das sind 59 Prozent der Lebensmittelabfälle. Weitere sieben Prozent entstehen im Handel.
Auch abgelaufene Lebensmittel sind häufig noch genießbar
Dass unansehnliche oder abgelaufene Lebensmittel insbesondere von Supermärkten, Lebensmittelherstellern oder der Gastronomie weggeworfen werden, wird schon länger kritisiert. Ebenso wie, dass der Ablauf des Haltbarkeitsdatums nicht gleichbedeutend ist mit „ungenießbar“. Mittlerweile gehen einige dieser Lebensmittel schon an die Tafeln oder wird im Supermarkt billiger verkauft. Vieles landet aber direkt im Müll, obwohl es noch genießbar wäre.
Wer aber dann containern geht, also die Lebensmittel zum Eigenbedarf wieder aus der Tonne herausholt, macht sich bislang noch strafbar. Das will die Bundesregierung nun ändern. Am Dienstag warben Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) für eine Entkriminalisierung des Containerns. Nur noch in seltenen Fällen sollen Menschen mit Strafen belegt werden, wenn sie noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern holen.
„Wer Lebensmittel vor der Tonne rettet, sollte dafür nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden“, erklärte Özdemir. Die Minister setzten sich zugleich dafür ein, dass Strafverfahren wegen Containerns eingestellt werden sollten, wenn dies die Umstände im Einzelfall zulassen.
Jesuit Alt: „Erstes Fortschrittchen“
Der Initiative liegt ein Vorschlag des Landes Hamburg zugrunde. Dieser sieht eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vor, die ohne eine Gesetzesänderung auf Bundesebene von den Ländern beschlossen werden könnte. Containern wäre dann nur noch bestraft werden, wenn gleichzeitig ein Hausfriedensbruch vorliegt, also wenn etwa ein Zaun überwunden oder ein Tor ausgehebelt wird, um an die Container zu gelangen.
Einer, der die neue Initiative begrüßen dürfte, ist der Jesuitenpater Jörg Alt. Noch bevor sich der Nürnberger Ordensmann gemeinsam mit den Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ auf die Straße klebte, sorgte er als „Jesuit und Dieb“ für Schlagzeilen, weil er containerte und sich anschließend selbst dafür anzeigte. Damit wollte Alt das Thema Lebensmittelverschwendung und das seiner Ansicht nach unsinnige Container-Verbot in den Vordergrund rücken und Druck auf die Bundesregierung für eine Gesetzesänderung ausüben.
Dass diese nun angekündigt worden ist, stellt den Jesuiten jedoch nur teilweise zufrieden: „Ein erstes Fortschrittchen, wenns kommt“, schreibt Alt auf Twitter. Für noch wichtiger halte er jedoch ein „Essenrettengesetz“, das Supermärkte verpflichte, ihre übrig gebliebenen Nahrungsmittel an die Tafeln zu spenden.
Tatsächlich ist der Vorschlag aus Agrar- und Justizministerium wenig revolutionäre. Schon mehrfach gab politische Initiativen, die das Mitnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln entkriminalisieren wollten, dabei aber erfolglos blieben. Begründung: Das Containern wird als menschenunwürdig und hygienisch problematisch gesehen. Zudem ist die Frage ungeklärt, wer haftet, falls jemand verdorbene Lebensmittel aus Containern isst und krank wird. So konnten auch Handelsketten bislang die Anzeigen gegen das Containern begründen. Hier sind die Minister nun gefragt, eine rechtliche Absicherung zu schaffen.
Misereor-Blog: Abfallessen im Lunchpaket für Politiker
Weltweit wird jedes Jahr ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen, allein in Deutschland landen jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Gleichzeitig hungern 800 Millionen Menschen. Darum haben zwei Kampagnen letzten Freitag zu einer ungewöhnlichen Aktion vor dem Bundestag Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen eingeladen.