Pater Pio mit Stigmata
Bild: © KNA-Bild
Star-Heiliger ohne Star-Allüren

Vor 20 Jahren wurde Pater Pio heiliggesprochen

Vatikanstadt/San Giovanni Rotondo ‐ Sein Bild hängt an unzähligen italienischen Wänden, seine Figur steht an zahlreichen Ecken: mal lebensgroß, mal klein, selten zu übersehen. Vor 20 Jahren wurde Pater Pio heiliggesprochen.

Erstellt: 07.06.2022
Aktualisiert: 23.06.2022
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Italiener können sich untereinander eher schwer einigen: auf Politiker, die beste Pasta oder die Vorfahrt. Umso bemerkenswerter die Einmütigkeit, wenn es um ihren inoffiziellen Nationalheiligen geht: Pater Pio (1887-1968). Vor 20 Jahren wurde der Kapuziner von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen.

Italiener können sich untereinander eher schwer einigen: auf Politiker, die beste Pasta oder die Vorfahrt. Umso bemerkenswerter die Einmütigkeit, wenn es um ihren inoffiziellen Nationalheiligen geht: Pater Pio (1887-1968). Vor 20 Jahren wurde der Kapuziner von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen.

Als Francesco Forgione 1887 im apulischen Städtchen Pietrelcina geboren, wirkte und starb Pater Pio in der Kleinstadt San Giovanni Rotondo am Sporn des italienischen Stiefels. Die Beliebtheit des erst vor einem halben Jahrhundert gestorbenen Ordensmannes dürfte auf seiner tiefen Frömmigkeit und Einfachheit beruhen; ebenso aber auf den mysteriösen fünf Wundmalen Christi, die er am 20. September 1918 in Ekstase empfangen haben soll. Angeblich waren sie stets offen und blutig, weswegen er an den Händen Stulpen trug, damit die Leute nicht darauf starrten. Bis heute gibt es Stimmen, die sagen, der Pater habe mit Chemikalien nachgeholfen, ihre immerwährende Frische verdankten die Wundmale der örtlichen Apotheke.

Heute zwar nicht mehr frisch, aber noch immer zu bestaunen sind seine Hände. Der Leichnam des Volksheiligen ruht in einem gläsernen Sarg in der Unterkirche der Wallfahrtsbasilika San Pio da Pietrelcina in San Giovanni Rotondo. Während das Gesicht mit einer Silikonmaske bedeckt ist, ragen unter den Stulpen seine unbedeckten Finger hervor. Menschen stehen Schlange, um dem Mystiker einmal ganz nah sein zu können.

Die Präsenz des Heiligen hat die 27.000-Einwohner-Stadt im italienischen Süden in einen der größten katholischen Wallfahrtsorte Italiens verwandelt. Zwei Jahre nach der Heiligsprechung Pios wurde eine neue Basilika eröffnet. Die Kirche Santa Maria delle Grazie, in der Pater Pio selbst gepredigt und Beichte gehört hatte, war schlicht zu klein geworden.

Die Dimensionen von San Pio da Pietrelcina entsprechen dem Status des Heiligen in Italien – riesig. Sie ähnelt einer großen Veranstaltungshalle. Der ebenfalls ausladende Platz vor der Kirche soll bis zu 30.000 Menschen fassen können. Zugegeben, heimelig oder gar italienisch charmant ist es in San Giovanni Rotondo nicht. Die Stadt hat mit einer an die Pilgerströme angepassten Infrastruktur ihren Tribut gezollt. Die zum Teil im Maßstab 1:2 großen Padre-Pio-Figuren „Made in China“ unterstützen den eigenwilligen Flair.

Zwar ist die Pilgerzahl im Ort in den vergangenen Jahren zurückgegangen, Verehrung und Anziehungskraft von Pater Pio wirken aber ungebrochen - besonders in Italiens Süden. So schafft es in der Millionenstadt Neapel beispielsweise nur einer, den legendären SSC-Napoli-Fußballer Diego Maradona von den zahlreichen kitschig geschmückte Altären zu stoßen oder sie wenigstens mit ihm zu teilen: Pater Pio. Sein Konterfei hängt in Kirchen, Küchen und Kleinwagen. Der Fernsehkanal Pater-Pio-TV sorgt zusätzlich dafür, dass der Heilige nicht aus dem Gedächtnis seiner Verehrer verschwindet.

Und kommen die Menschen nicht persönlich zu ihm nach Apulien, kommt Pio eben zu ihnen. Denn „Fannähe“ ist auch für die Superstars unter den Heiligen wichtig. Außergewöhnlicher als bei „säkularen Stars“ ist aber wohl die Art und Weise dieser Nahbarkeit – eine Art After-Death-Tour. So reisen nicht nur einzelne Reliquien des Kapuziners regelmäßig quer durchs Land, auch der Ordensmann selbst besuchte beispielsweise 2016 posthum den Vatikan und vergangene Wirkungsstätten, wurde in seinem Glassarg durch enge italienische Gassen gefahren.

Den 20. Jahrestag seiner Heiligsprechung am 16. Juni wird Pater Pio aber „zu Hause“ in San Giovanni Rotondo verbringen. Vielleicht füllen sich das Städtchen und die große Basilika an jenem Tag. Pater Pio in seiner Krypta ist auf viele Besucher jedenfalls eingerichtet. Als seine sterblichen Überreste einst auf Dauer für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, erklärte der zu diesem Anlass angereiste Kardinal, Pater Pio wolle den Menschen damit noch näher sein. „Er will, dass wir ihm auf das Gesicht schauen, und auch er kann uns in die Augen sehen.“