Transparent mit der Aufschrift "TTIP stoppen! Armut bekämpfen! Klima retten!" bei Protesten gegen einen G7-Gipfel
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„TTIP schließt Entwicklungsländer aus“

Welthandel ‐ Der Politiker Sven Giegold gehört wohl bundesweit zu den bekanntesten Kritikern des geplanten amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommens TTIP. Die Skepsis scheint inzwischen überall zu wachsen, auch bei den Kirchen. Im Interview erklärt Giegold, warum ihm die Kritik der Katholiken nicht weit genug geht.

Erstellt: 29.10.2015
Aktualisiert: 03.05.2024
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Seit kurzem gehört der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags an. Öffentlich bekannt wurde der 45-Jährige vor 15 Jahren als Mitgründer des deutschen Zweigs der globalisierungskritischen Attac-Bewegung. 2009 wurde er Mitglied des Europaparlaments und ist Sprecher der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen. Im Interview äußert er sich zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP und der Kritik daran aus den Reihen der Kirchen.

Frage: Herr Giegold, Sie gehören zu den bundesweit bekannten Kritikern des geplanten amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommens TTIP. Die Skepsis scheint inzwischen überall zu wachsen, auch bei den Kirchen. Kürzlich hat sich das höchste Laiengremium der Katholiken in Deutschland, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zu Wort gemeldet. Freuen Sie sich über die Unterstützung?

Giegold: Natürlich freue ich mich, dass sich das ZdK an der Debatte beteiligt und auch grundlegende ethische Maßstäbe an das Abkommen anlegt. Allerdings finde ich den Text zu wenig katholisch, wenn ich das als Protestant sagen darf.

Frage: Warum?

Giegold:  Dem Katholizismus verdanken wir die katholische Soziallehre ...

Frage: ... die gleich im zweiten Satz des ZdK-Papiers Erwähnung findet...

Giegold:  ... aber dann nicht konsequent durchbuchstabiert wird. Ein Leitgedanke der katholischen Soziallehre ist das Subsidiaritätsprinzip. Danach ist jede Zentralisierung begründungspflichtig. Je dezentraler soziale Angelegenheiten geregelt sind, desto besser funktioniert eine Gesellschaft. Damit schützt das Subsidiaritätsprinzip letzten Endes die Demokratie vor immer größerer Bürgerferne. Leider findet sich nichts vom Subsidiaritätsgedanken in dem ZdK-Text.

Frage: Vielleicht, weil das am eigentlichen Thema vorbeigeht. Schließlich will TTIP Handelsbarrieren abbauen. Und das geht vermutlich eher über einheitliche Regeln.

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Giegold:  TTIP will Standards vereinheitlichen. Es widerspricht dem Subsidiaritätsgedanken, wenn die USA und Europa nicht mehr eigenständig über soziale, ökologische und konsumentenfreundliche Standards entscheiden können. Kleine Wachstumseffekte reichen hier nicht. Ein engagiertes Christentum sollte sich für das Subsidiaritätsprinzip stark machen. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für die internationale Handelspolitik.

Frage: Ist der eigentliche Skandal aber nicht vielmehr, dass der Aufschrei vonseiten der Kirchen, aber auch aus dem Europaparlament viel zu spät kommt? Es gibt schließlich schon zig Verträge nach TTIP-Muster.

Giegold:  Dass erst durch TTIP die Aufmerksamkeit auf die europäische Handelspolitik gelenkt wurde, ist beschämend für uns alle. Zur Ehrenrettung der Kirchen sei aber hinzugefügt, dass gerade die katholischen und evangelischen Hilfswerke schon früh vor den Folgen solcher Verträge gewarnt haben. Umso wichtiger ist jetzt, konsequent am Ball zu bleiben.

Frage: Empört Euch – aber richtig.

Giegold:  Genau. Wenn man wie das ZdK aus guten Gründen im Rahmen von TTIP private Schiedsgerichtsgerichte ablehnt, dann sollten wir solche Änderungen auch für bestehende Verträge fordern. Wieso sollen Entwicklungsländer mit einer rechtsstaatswidrigen Form von Justiz abgespeist werden, während wir für TTIP jetzt einen Handelsgerichtshof einfordern?

Frage: Aber allein Deutschland hat über 100 Handelsverträge vornehmlich mit Entwicklungsländern, in denen private Schiedsgerichtsverfahren Anwendung finden. Ganz ehrlich: Wie realistisch ist es, dagegen vorzugehen?

Giegold: Wir sollten im Sinne der Option für die Armen verlangen, die bestehenden Handelsverträge neu zu verhandeln – ohne private Schiedsgerichte. Bei TTIP wird es noch lange dauern, bis es da vorangeht. Die EU arbeitet zugleich an über 20 anderen Verträgen. Noch hat die EU keinen Handelsvertrag mit ISDS, also einer privaten Schiedsgerichtsbarkeit, ratifiziert. Zudem sind schon viele Handelsverträge gescheitert. Denken Sie etwa an das Abkommen gegen Produktpiraterie ACTA. Der Vertrag fiel im Europaparlament durch.

Frage: Es ist also noch nicht zu spät.

Giegold:  Alle, die jetzt sagen, da könne man nichts machen, versuchen, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Aber wir brauchen auch hoffnungsstiftende Alternativen.

Frage: Die da wären?

Giegold: Wir nehmen mit unserer Art des Welthandels enorme Zerstörungen der Natur hin, treiben die Ärmsten der Armen in den Ruin und scheren uns einen Dreck um die Rechte von Arbeitern in Entwicklungsländern. Der Papst hat in seiner Umweltenzyklika „Laudato Si“ nachdrücklich auf all das hingewiesen. Was ich mir von unseren Kirchen deswegen wünsche, ist für einen sozialen und ökologischen Welthandel im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO einzutreten. TTIP schließt die Entwicklungsländer von den Verhandlungen der zukünftigen Handelsordnung aus. Es ist gut, dass das ZdK schreibt, TTIP entwicklungspolitisch kohärent zu machen. Aber das genügt nicht. Die Länder des Südens müssen im Sinne der Option für die Armen bei den Verhandlungen am Tisch sitzen. Das geht nur in der WTO.

Von Joachim Heinz (KNA)

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