Reaktionen zum Brand im Flüchtlingslager Moria

Reaktionen zum Brand im Flüchtlingslager Moria

Flucht ‐ In der Nacht zum Mittwoch sind im griechischen Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos zahlreiche Wohncontainer, Zelte und Gebäude niedergebrannt. Wie es zu dem Feuer kam, ist noch unklar.

Erstellt: 09.09.2020
Aktualisiert: 09.09.2020
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In der Nacht zum Mittwoch (09.09.2020) sind im griechischen Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos zahlreiche Wohncontainer, Zelte und Gebäude niedergebrannt. Wie es zu dem Feuer kam, ist noch unklar. In dem Lager, das für 3.000 Personen ausgelegt war, lebten rund 12.000 Menschen. Zuletzt war in Moria ein Anstieg der Corona-Fälle verzeichnet worden, weswegen große Teile des Lagers unter Quarantäne standen.

Medien: Regierung will 1.500 Flüchtlinge aus Moria aufnehmen

Die Bundesregierung will nun offenbar doch mehr Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. Rund 1.500 Menschen sollen kommen, wie das ARD-Hauptstadtstudio am Dienstag meldete. Dabei solle es sich um Familien mit Kindern handeln, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt worden seien. Der Vorschlag, auf den sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verständigt hätten, sei mit der griechischen Regierung abgesprochen.

Caritas-Präsident Peter Neher begrüßt die offenbar von der Union beschlossene Aufnahme der Flüchtlinge – zumindest im Grundsatz. „Für all die, die dadurch der Hölle von Moria entfliehen können, ist es eine gute Nachricht, und 1.500 ist natürlich besser als 150“, sagte Neher der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag). Zugleich forderte er zu Bemühungen für Friedensverhandlungen in Afghanistan und Syrien auf. „Wenn die Menschen nicht mehr alles hinter sich lassen müssen auf der Suche nach einem erträglichen Leben; wenn die europäische Politik aufhört, sie wie lästige Eindringlinge zu betrachten, die keiner haben will“, sagte Neher.

Mit Blick auf die durch eine Aufnahme von Menschen aus dem abgebrannten Lager befürchtete Sogwirkung auf andere Flüchtlinge erklärte Neher: „Ich kann das Gerede um den Pull-Effekt nicht mehr hören. In Europa leben wir vergleichsweise gut und in Frieden, in ganz vielen Ländern ist das mitnichten der Fall, und in einer globalisierten Welt weiß man um dieses Gefälle. Daraus entsteht der Pull-Effekt und nicht daraus, dass man Menschen in Not hilft.“

Nach Brand in Moria fordern Kirchen Hilfe für Flüchtlinge

Nach dem Brand im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos fordern Kirchenvertreter rasche Hilfe für die Flüchtlinge. Zugleich übten sie am Mittwoch Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik. Der Hamburger katholische Erzbischof Stefan Heße sprach von einer „Katastrophe mit Ansage“. Die mit Lagern wie Moria verfolgte „Politik der Abschreckung“ gehe auf Kosten der Menschlichkeit, so der Flüchtlingsbischof der Deutschen Bischofskonferenz.

Schon seit Langem sei die Situation der Schutzsuchenden auf den ägäischen Inseln und vor allem im überfüllten Lager Moria unerträglich gewesen, betonte Heße. „Deshalb gab es aus Kirche und Zivilgesellschaft immer wieder deutliche Appelle, die humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen zu überwinden und für eine menschenwürdige Aufnahme der Schutzsuchenden zu sorgen.“

Die Bilanz sei ernüchternd, so der Flüchtlingsbischof. „Allen Appellen, Initiativen und Warnungen zum Trotz: Passiert ist bislang erschreckend wenig.“ Das grundlegende Problem des Hotspots Moria sei nicht angegangen worden. „Stattdessen gab und gibt es auf Ebene der Bundesregierung und der EU-Kommission sogar das Bestreben, das gescheiterte Hotspot-System auszuweiten und künftig nahezu alle Asylverfahren an den Außengrenzen durchzuführen. Davor kann angesichts der Situation auf den griechischen Inseln nur gewarnt werden.“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, forderte eine schnelle und dauerhafte Hilfe für die Betroffenen. „Seit langer Zeit ist auf die schlimmen Zustände in dem Lager hingewiesen und Abhilfe gefordert worden. Trotzdem durften nur wenige Menschen das Lager verlassen“, schrieb der evangelische Landesbischof am Mittwoch auf Facebook. „Die vollständige Überfüllung ist geblieben.“

Ähnlich äußerte sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). „Viel zu lange haben wir in ganz Europa weggeschaut“, so ZdK-Präsident Thomas Sternberg. „Jetzt darf es keinen längeren Aufschub geben, der auf eine gesamteuropäische Lösung wartet.“ Der ZdK-Präsident regte an, Flüchtlinge auf in nahe gelegenen Häfen liegenden Kreuzfahrtschiffe unterzubringen und sie dort auch medizinisch zu versorgen.

Caritas: Brand in Moria auch Folge von EU-Abschottungspolitik

50.000 Euro Soforthilfe für die Flüchtlinge im zerstörten Lager Moria auf Lesbos hat Caritas international bereitgestellt. Nach dem Brand seien schnelle materielle und psychologische Hilfen entscheidend, sagte der Leiter der Hilfsorganisation, Oliver Müller, am Mittwoch in Freiburg. Die griechische Caritas bereite die Aufnahme von Flüchtlingen vor.

Müller warf der EU Versagen in der Flüchtlingspolitik und damit indirekt eine Mitschuld an dem Brand vor. Ein Feuer hat das völlig überfüllte Camp in der Nacht auf Mittwoch zerstört. „Der Brand ist letztendlich Ergebnis der Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die Politik hat bis heute die Augen verschlossen. Die Menschen sind trotz aller Kritik und in Kenntnis der verheerenden Zustände in Moria ihrem Schicksal überlassen worden“, sagte Müller. Damit sei die Situation eine „Katastrophe mit Ankündigung“, so der Leiter von Caritas international.

Seit langem hätten in dem Flüchtlingscamp unzumutbare Zustände geherrscht, so die Caritas. Durch die jüngsten ersten Corona-Infektionen im Lager habe sich die Lage nochmals verschärft. Trotz stetiger Appelle von Flüchtlingsorganisationen sei nichts geschehen, kritisierte Caritas international.

Sant'Egidio: Auf Moria „Katastrophen mit Ansage“

Die Brandkatastrophe im Lager Moria auf Lesbos war nach Ansicht der Gemeinschaft Sant'Egidio „absolut vorhersehbar“. „Als wir von der Gemeinschaft Moria Ende August nach unserem Einsatz dort verlassen haben, gab es bereits kleine Brände“, sagte Sant'Egidio-Mitarbeiterin Monica Attias am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Bereits im Winter habe „über dem Lager das Gespenst eines solchen Brandes geschwebt“.

Auch die Covid-Fälle seien „eine Tragödie mit Ansage“ gewesen. Es sei in den Lagern „unmöglich, Abstandsregeln einzuhalten“; zudem fehle es an Masken. Ein solches Lager komplett unter Quarantäne zu stellen, bedeute aber, Zehntausende Menschen, denen es bereits an vielem fehle, komplett gefangenzuhalten, kritisierte Attias.

Derzeit versuche man, sich ein Bild von der Lage zu machen: Die Gegend um Moria sei abgeriegelt. Derzeit könne man keine Lebensmittel oder Kleidung dorthin bringen; viele Menschen hätten bei den Bränden alles verloren. Eine Reihe von Flüchtlingen leiden Attias zufolge unter Rauchvergiftungen; das örtliche Krankenhaus sei aber schon wegen der Covid-Pandemie überlastet.

Soweit man wisse, überlegten die griechischen Behörden derzeit, ob sie auf Lesbos andere, vorübergehende Lager errichten oder ob sie die Menschen aufs Festland bringen. „Die großzügigste und intelligenteste Lösung wäre, einen ernsthaften Plan der Umverteilung zu entwerfen und umzusetzen“, so Attias. Das entspräche am ehesten dem Prinzip geteilter Verantwortung, das in Europa so oft beschworen werde.

So hofft Sant'Egido laut Attias, „in naher Zukunft“ eine erneute Vereinbarung mit der Regierung in Rom unterzeichnen zu können, „um weitere Menschen nach Italien zu holen“. Über erste humanitäre Korridore wurden bereits 43 Menschen nach Italien gebracht. Im Übrigen „haben wir trotz der katastrophalen Lage bisher noch von niemandem den Wunsch gehört, in seine Heimat zurückzukehren“, so Attias.

Wie die Gemeinschaft am Mittwoch ebenfalls mitteilte, sind ein Großteil der 13.000 Menschen dort Familien aus Afghanistan, darunter rund 40 Prozent minderjährige Kinder und Jugendliche. Europa müsse sich seiner Verantwortung und seinem Anspruch stellen und diesen Menschen eine Perspektive bieten. Man wisse um die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit dieser Menschen.

Misereor fordert schnelle Verteilung der Menschen aus Moria

Das katholische Hilfswerk Misereor beklagt nach dem Brand in dem Flüchtlingslager Moria die Lage der Menschen auf der griechischen Insel Lesbos. Die menschenunwürdigen Zustände dort seien seit Jahren bestens bekannt, sagte Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel am Donnerstag in Aachen. „Die politische Krise Europas und dessen Unfähigkeit zu einer Lösung der Flüchtlingsfrage zeigt sich auf dieser Insel wie unter einem Brennglas.“ Sie gehe zu Lasten Schutzbedürftiger, die umherirrten und Obdach suchten.

Spiegel ergänzte: „Und das angesichts einer Corona-Pandemie, die auch uns verunsichert, die wir in sicheren Häusern und unter geregelten Umständen leben.“ Eine humane Verteilung der Menschen von Lesbos müsse schnell und unbürokratisch erfolgen. Die Bundesregierung solle sich der Hilfsangebote von deutschen Kommunen nicht verwehren. „Im Rahmen seiner derzeit laufenden EU-Ratspräsidentschaft trägt Deutschland bei der Suche nach Lösungen eine besondere Verantwortung und sollte dieser unter menschenwürdiger Perspektive gerecht werden“, erklärte der Misereor-Geschäftsführer.

„Eine EU-Politik, die auf mehr Härte und stärkeren Grenzschutz setzt, in der die Ankommenden die 'Anderen' sind, die wir uns vom Leib halten müssen oder die man auf einer Insel vegetieren lassen kann, ist nicht erst in Moria krachend gescheitert“, betonte Spiegel. Der Schutz der Betroffenen müsse wieder geachtet und ins Zentrum der Debatte und des Handelns gerückt werden. „In Einklang mit der Linie von Papst Franziskus appellieren wir an die EU-Staaten, eine solidarische und humanitäre Neuausrichtung in der Migrationspolitik voranzutreiben“, sagte er.

EU-Kommissarin verspricht Hilfe für Flüchtlingskinder in Moria

Nach den großen Bränden im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos verspricht die Europäische Union finanzielle Hilfe für minderjährige Flüchtlinge. Sie habe zugestimmt die Kosten für den Transfer von rund 400 unbegleiteten Kindern und Jugendlichen auf das europäische Festland aus EU-Mitteln zu zahlen, erklärte die Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter. Sie stehe darüber bereits in Austausch mit den Verantwortlichen in Griechenland.

 

 

 

Landkreistagspräsident gegen Alleingänge von Städten bei Migranten

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), kritisiert die Kommunen, die bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf die Aufnahme von Migranten aus Moria dringen. „Wenn jetzt einige wenige deutsche Städte Forderungen erheben und Aufnahmebereitschaft erklären, schwächt das in meinen Augen nicht nur die Position unseres Landes nach außen, sondern birgt auch vermeidbares Konfliktpotenzial nach innen. Deshalb sollte es solche Alleingänge nicht geben“, sagte Sager der „Welt“ (Dienstag).

„Die Kommunen sind hier nicht zuständig. Für die Entscheidung darüber, ob Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, haben wir Regeln aufgestellt, unter anderem das Asylrecht, und über das entscheidet der Bund“, fügte Sager hinzu.

Ein Sonderaufnahmeprogramm von Flüchtlingen hält der CDU-Politiker angesichts der Notsituation in Moria für geboten, dabei sollten sich allerdings alle EU-Staaten beteiligen. „Wenn Deutschland jetzt zum Beispiel 150 Flüchtlinge aufnimmt, dann überfordert das unser Land und unsere Kommunen nicht. Es wären nicht mal zehn Menschen pro Bundesland.“ Vor allem Kinder, Minderjährige und Familien gelte es zunächst aufzunehmen. „In dieser Notsituation ist auch jedes andere EU-Land mindestens akzeptabel. Auf jeden Fall sollten wir als Konsequenz aus 2015 aber Sogwirkungen vermeiden.“

Darüber hinaus bedürfe es dringend einer europäischen Verständigung, die Deutschland im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr befördern sollte. Sager denkt dabei an eine strukturelle Lösung bei der Prüfung von Asylberechtigungen an den Außengrenzen und einen Verteilungsmechanismus innerhalb der EU. „Es ist nicht erklärbar, dass wir im äußersten Notfall hektisch Menschen retten müssen, aber für den Normalfall haben wir gar kein befriedigendes Prozedere vereinbart in der EU, damit solche Zustände erst gar nicht entstehen können.“

Zuletzt aktualisiert am 15.09.2020 um 14:00 Uhr

© Texte: KNA