Dieter Wenderlein über die Friedensarbeit von Sant'Egidio
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Dieter Wenderlein über die Friedensarbeit von Sant'Egidio

Sant’Egidio ‐ Christen und kirchliche Institutionen bauen heute in vielfacher Weise am Weltfrieden mit. So auch die Gemeinschaft Sant'Egidio. Dieter Wenderlein leitet die Eine-Welt-Arbeit von Sant’Egidio in Deutschland. Ein Gespräch über humanitäre Korridore für Flüchtlinge, das nächste Weltfriedenstreffen in Deutschland und den Kampf gegen Aids in Afrika.

Erstellt: 13.12.2016
Aktualisiert: 11.05.2023
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In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2017 propagiert der Papst die Gewaltfreiheit als Lebensstil. Christen und kirchliche Institutionen bauen heute in vielfacher Weise am Weltfrieden mit. So auch die Gemeinschaft Sant'Egidio. Die 1968 von Studenten in Rom gegründete Gruppe engagiert sich seit Jahrzehnten für ein friedliches Miteinander der Völker und Religionen. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht Dieter Wenderlein, Leiter der Eine-Welt-Arbeit von Sant'Egidio in Deutschland, über die Schwerpunkte seiner Gemeinschaft.

Frage: Herr Wenderlein, seit fast 50 Jahren betreibt die Gemeinschaft Sant’Egidio karitative und Friedensarbeit und widmet sich dem Dialog der Religionen. Inwiefern haben sich die Schwerpunkte der Gemeinschaft in Zeiten von starken Flüchtlingsbewegungen, religiös motiviertem Terror und gespaltenen Gesellschaften verschoben?

Wenderlein: Die Frage des friedlichen Zusammenlebens war schon immer das Anliegen von Sant’Egidio. Das betrifft das Miteinander von Arm und Reich, Jung und Alt ebenso wie den Dialog der Religionen. Einerseits sehen wir, dass wir schon immer  auf dem richtigen Weg waren, wenn wir für Frieden, Toleranz und eine offene Kirche werben. Andererseits verwenden wir derzeit in Zeiten der Flüchtlingsdebatte, von Populismus und Fremdenfeindlichkeit sehr viele Energien auf die heutigen Herausforderungen, z. B. in der Flüchtlingsarbeit.

Frage: Mit seinen humanitären Korridoren für Flüchtlinge aus Nordafrika nach Italien hat Sant’Egidio ein weltweit einmaliges Pilotprojekt gestartet …

Wenderlein: Die humanitären Korridore in Italien sind unsere Reaktion auf die tausenden Toten im Mittelmeer. Bei dem Projekt handelt es sich um eine ökumenische Aktion zusammen mit den Waldensern und der Union der Evangelischen Kirchen in Italien. Gemeinsam haben wir mit dem italienischen Innen- und Außenministerium über legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge gesprochen und ein Abkommen getroffen. Dieses erlaubt es Sant’Egidio, den italienischen Botschaften in Beirut und in Zukunft auch in Addis Abeba bis zu 1.000 Menschen zu empfehlen, die ein humanitäres Visum erhalten sollten.

Bild: © SantEgidio

Frage: Nach welchen Kriterien suchen Sie die Flüchtlinge aus?

Wenderlein: Wir kennen die Situation in den libanesischen Flüchtlingscamps sehr gut, weil wir dort seit Jahren humanitäre Hilfe leisten. Der Auswahlprozess ist extrem sorgfältig. Ganz bewusst empfehlen wir nur besonders verwundbare und benachteiligte Flüchtlingsfamilien, z. B. jene mit kranken oder behinderten Kindern oder mit alten, pflegebedürftigen Angehörigen. Mit diesen Familien gehen wir mehrfach ins Gespräch; nehmen all ihre Daten auf. Auf dieser Basis führen die italienischen Behörden einen Sicherheitscheck durch und stellen die Visa aus. Sant’Egidio, die Waldenser und die evangelische Kirche finanzieren und organisieren den Flug nach Rom und die Integrationsmaßnahmen in Italien. Dieses Modell ist auch wegen der engen Zusammenarbeit von kirchlicher Zivilgesellschaft und Staat sehr attraktiv.

Frage: Könnte dieses Projekt auch als Vorbild für andere europäische Länder dienen, z. B. für Deutschland? 

Wenderlein: Auf jeden Fall. Die humanitären Korridore können auch deswegen von anderen europäischen Ländern realisiert werden, weil das bestehende EU-Recht eine juristische Grundlage dafür bietet. Für diesen Weg der legalen, sicheren Einreise müssen keine neuen nationalen Gesetze geschaffen werden. Jeder EU-Staat könnte sofort die humanitären Korridore auf Grund geltenden Rechts einrichten. Voraussetzung ist also der politische Wille, und hier sind oft noch dicke Bretter zu bohren.

Frage: Das nächste Weltfriedenstreffen von Sant’Egidio findet 2017 in Deutschland statt, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos sind. Welche Wirkung kann ein interreligiöses Friedenstreffen in diesem Zusammenhang haben?

Wenderlein: Die voranschreitende gesellschaftliche Spaltung, die Islamophobie, die Populisten – all das bestärkt uns umso mehr in unserem Anliegen der Weltfriedenstreffen. Das nächste Internationale Friedenstreffen wird vom 10. bis 12. September 2017 in Münster und Osnabrück stattfinden. Sant’Egidio und die beiden Bistümer laden gemeinsam dazu ein. Es ist keine akademisch theologische Veranstaltung, in der Dokumente unterzeichnet und Absichtserklärungen getroffen werden. Stattdessen nehmen die Weltfriedenstreffen auch jene in den Blick, die mit den Themen Kirche und Glauben wenig bis gar nichts anfangen können. Wir wollen das Bild einer offenen Kirche zeigen, die am Dialog der Religionen und Kulturen interessiert ist und auf die friedensstiftende Kraft der Religionen baut. Je mehr Kirchenfernstehende das mitbekommen, desto besser.

Frage: Sant’Egidio engagiert sich auch in der Aids-Bekämpfung. Welchen Ansatz verfolgen Sie mit Ihrem Anti-Aids-Programm DREAM in Afrika?

Wenderlein: Wir haben von Anfang an die Idee verfolgt, dass Prävention allein nicht die Lösung des Aids-Problems sein kann. Schließlich waren Ende der 90er Jahre schon viele Millionen Menschen in Afrika HIV-positiv. Es brauchte also eine vernünftige antiretrovirale Therapie. Mit diesem Vorschlag stießen wir zunächst auf viel Skepsis. Damals gab es – auch bei Entwicklungsexperten – die Grundhaltung, dass medikamentöse Aids-Therapie in Afrika aus verschiedenen Gründen nicht machbar sei: Die Kosten seien zu hoch, die Diagnostik zu kompliziert, die medizinischen Standards in Afrika zu niedrig. Wir probierten es trotzdem und errichteten Anfang der 2000er Jahre in Absprache mit dem mosambikanischen Gesundheitsministerium in einem Tuberkulose-Krankenhaus bei Maputo unsere erste HIV-Tagesklinik – mit Erfolg. Mittlerweile betreuen wir zusammen mit unseren staatlichen und kirchlichen Partnern ca. 80.000 HIV-Patienten in zehn afrikanischen Staaten.

Frage: Ein Ausblick zum Schluss: Was werden die drei wichtigsten Prioritäten von Sant’Egidio in den kommenden Jahren sein?

Wenderlein: Vor zwei Jahren hat Papst Franziskus unsere Gemeinschaft in Rom besucht. Auf Italienisch sagte er, uns zeichneten die drei P’s aus: Preghiera, Poveri, Pace – das Gebet, die Armen und der Frieden. Das sind und waren schon immer unsere drei Prioritäten.

Das Interview führte Lena Kretschmann.

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