Geisterstädte für den ewigen Präsidenten
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Geisterstädte für den ewigen Präsidenten

Kamerun ‐ Geschlossene Schulen, kein Internet, Streiks und gewaltsame Proteste. In Kamerun spitzt sich der Konflikt zwischen der englischsprachigen Minderheit und der französischsprachigen Regierung zu. Die Kirche des Landes setzt auf Versöhnung und appelliert an die internationale Öffentlichkeit, sich für den Dialog einzusetzen.

Erstellt: 03.04.2017
Aktualisiert: 03.04.2017
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Geschlossene Schulen, kein Internet, Streiks und gewaltsame Proteste. In Kamerun spitzt sich der Konflikt zwischen der englischsprachigen Minderheit und der französischsprachigen Regierung zu. Die Kirche des Landes setzt auf Versöhnung und appelliert an die internationale Öffentlichkeit, sich für einen Dialog einzusetzen. Unterstützung gibt es auch vom Partnerbistum Limburg.

Stellen Sie sich vor, im Silicon Valley in Kalifornien würde das Internet abgestellt – und zwar monatelang. Großunternehmen wie Google und Facebook würden Milliardenverluste machen, ganz abgesehen von der Kommunikation, die durch das Fehlen der Sozialen Netzwerke zusammenbrechen würde. In Kamerun ist genau das der Fall – und zwar in der englischsprachigen Region Südwest des Landes: Hier gibt es einen „Silicon Mountain“, das am Mount-Kamerun-Vulkan gelegene Städtchen Buea, in dem sich Internet-Cafés und Start-up-Unternehmen der IT-Branche versammelt haben. Und genau dieser „technologischen Perle“, einer der wichtigsten Afrikas, hat die Regierung im Januar das Internet abgeschaltet.

Der Blackout traf die beiden gesamten anglophonen Westprovinzen des Landes – ein gezielter Angriff auch auf die dortige Wirtschaftskraft. Die Folge allein für Buea: Der Umsatz der Internet-Cafés und Start-up-Unternehmen brach ein, viele sahen sich gezwungen, ins französischsprachige Douala auszuweichen. Im Internet wurde unterdessen die weltweite Solidaritätskampagne #BringBackOurInternet gestartet, der sich auch der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden anschloss.

Wie konnte es dazu kommen?

In Kamerun gibt es seit der Unabhängigkeit zwei anglophone Regionen, die das britische Rechtssystem und Englisch als Verkehrssprache beibehalten haben. Nominell sind die englischen und französischen Regionen in Sprache, Kultur und Verfassung gleichberechtigt. Doch spätestens seit der Machtübernahme durch Präsident Paul Biya vor 34 Jahren fühlt sich die englisch-sprachige Minderheit in Kamerun diskriminiert.

Als dann die Regierung begann, frankophone Richter und Lehrer bewusst in den englischsprachigen Regionen einzusetzen, riss der Geduldsfaden der englischsprachigen Minderheit: Richter und Lehrer begannen im November 2016 zu streiken, es gab Verletzte und Tote, die Schulen sind seither geschlossen. „Ghost-Towns“, zu Deutsch Geisterstädte, heißt die Protestform der Bürger, die seit Januar 2017 jeden Montag und Dienstag Generalstreiks durchführen, sodass es kein öffentliches Leben auf den Straßen mehr gibt, Taxistände, Geschäfte und Märkte geschlossen bleiben, die Bevölkerung zu Hause bleibt.

Die Kirche versucht in dieser angespannten Situation zu vermitteln. Im Dezember 2016 richteten die anglophonen Bischöfe ein Memorandum an Staatspräsident Paul Biya. In dem Schreiben versuchen sie, Lösungen des Konflikts aufzuzeigen. Zu den genannten Punkten gehören die Anerkennung des „anglophonen Problems“ in der Republik Kamerun, der Abzug der Regierungstruppen aus den englischsprachigen Regionen und Städten, das Unterlassen von willkürlicher Gewalt und Inhaftierungen sowie die Bereitschaft aller Seiten zu einem konstruktiven Dialog.

Chronik des Konflikts

Kamerun ist in einen französischsprachigen und einen englischsprachigen Teil gegliedert. Zwei der zehn Regionen des Landes sind anglophon; etwa 20 Prozent der Bevölkerung leben in diesen beiden Regionen an der Grenze zu Nigeria. Dort beginnen im November 2016 Unruhen und Streiks der Richter und Lehrer. Hintergrund: die Regierung in Yaoundé schickt per Erlass frankophone Richter in die englischsprachigen Regionen und setzt frankophone Lehrer in allen Schulen ein. Dies führt zu öffentlichen Protesten und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten mit Verletzten und Toten. Seit Dezember werden Schulen und Universitäten bestreikt. Hintergrund ist die Unzufriedenheit über schlechte Bildungs- und Aufstiegschancen, wenn englischsprachige Schüler und Studierende von französischsprachigem Lehrpersonal unterrichtet werden. Seit Januar 2017 werden Generalstreiks durchgeführt, das öffentliche Leben kommt regelmäßig zum Erliegen. Die anglophonen Bischöfe schreiben an Staatspräsident Paul Biya. Darin fordern sie eine Anerkennung des ‚anglophonen Problems‘ in der Republik Kamerun und einen konstruktiven Dialog. Die Bischöfe führen Gespräche mit Vertretern der Regierung. Darin geht es vorrangig um die Freilassung der inhaftierten Personen sowie um eine generelle Gesprächsbereitschaft der kamerunischen Regierung. Ende Februar reist eine UN-Delegation zu den Gouverneuren der betroffenen Regionen, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Die Wurzel des Problems liegt tiefer

Laut dem Präsidenten der kamerunischen Bischofskonferenz, Erzbischof Samuel Kleda, liegt die Wurzel des Konflikts aber tiefer als einfach nur bei Sprachunterschieden. „Die wirklichen Ursachen der Krise sind meines Erachtens die Ungerechtigkeit, die Korruption, die inadäquate Verteilung der Güter in diesem Land. Das hat alles mit schlechter Regierungsführung zu tun.“

Dem pflichtet Frank Wiegandt vom katholischen Hilfswerk Misereor bei. Paul Biya, der erst vor wenigen Tagen Papst Franziskus im Vatikan besuchte, ist der am längsten amtierende Präsident Afrikas. „Kamerun ist eine Gerontokratie, der erste Mann im Staat ist 84 Jahre alt, davon 34 Jahre an der Macht. Der zweite Mann im Staat ist 82 Jahre alt. Dabei ist die Mehrheit der Bevölkerung unter 20 Jahre alt!“ Im kommenden Jahr stehen zudem Wahlen an, bei denen sich der dann 85-Jährige zum siebten Mal in Folge zum Staatsoberhaupt wählen lassen will.

Das eigentlich reiche Land hat wie so viele afrikanische Staaten ein Verteilungsproblem, der Reichtum kommt aufgrund der schlechten Regierungsführung, der Korruption und der Vetternwirtschaft bei der Bevölkerung nicht an.

Kirche fordert Zusammenhalt

Erzbischof Samuel Kleda appelliert dennoch an den Zusammenhalt: „Weder Sprachen, noch Kulturen dürfen uns zu Feinden machen. Wir müssen den gemeinsamen Feind bekämpfen: Ungerechtigkeit, Hass, Egoismus. Die einzige Lösung ist Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung.“ Darum riefen die Bischöfe Kameruns zu einem ehrlichen und offenen Dialog zwischen Staat und Vertretern der Lehrer, der Anwälte und der Zivilgesellschaft auf, so der Erzbischof von Douala.

Unterstützung im Konflikt gibt es auch von der Diözese Limburg, die seit 30 Jahren Partner des anglophonen Bistums Kumbo ist. Sie schafft Aufmerksamkeit für den von der internationalen Öffentlichkeit bislang vernachlässigten Konflikt. Der Bischof vom Kumbo, George Nkuo, bittet die Partner in Deutschland, sich auch an die Regierung Kameruns zu wenden; es brauche Krisenmanagement von außen: „Die Regierung Kameruns hat die Macht und das Instrumentarium einen konstruktiven Dialog einzuleiten, je eher, desto besser. Wenn es so weiter geht, werden die Extremisten sehr leicht die Überhand gewinnen und unserem Land großes Unheil und Schaden zuführen. Der Funke ist schon fast übergesprungen auf die verbitterte Bevölkerung und diese wird bei der kleinsten Provokation wild und gewalttätig werden.“

Von Claudia Zeisel

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