Jesuitenpater Jörg Alt über Steuergerechtigkeit und Armut
Finanzen ‐ Korruption, illegale Finanzströme und aggressive Steuervermeidung: Der Verlust, den Staaten durch kriminelle Finanzgeschäfte machen, ist kaum zu beziffern. Für den Jesuiten Jörg Alt ist das ein Skandal. In seinem neuen Buch beklagt er: „Wir verschenken Milliarden“. Insbesondere für die Entwicklungsländer hat das fatale Folgen.
Aktualisiert: 17.10.2016
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Korruption, illegale Finanzströme und aggressive Steuervermeidung: Der Verlust, den Staaten durch kriminelle Finanzgeschäfte machen, ist kaum zu beziffern. Für den Jesuiten-Pater Jörg Alt ist das ein Skandal. In seinem neuen Buch beklagt er: „Wir verschenken Milliarden“. Insbesondere für die Entwicklungsländer hat das fatale Folgen.
Frage: Pater Alt, in einem Interview sagten Sie, wir bräuchten gar keine Entwicklungshilfe, wenn die Entwicklungsländer all das Geld bekämen, das ihnen per Steuern zustände. Wie meinten Sie das?
Alt: In unserem Forschungsprojekt „Steuergerechtigkeit und Armut“ haben wir die Steuersysteme in Deutschland, Kenia und Sambia untersucht und miteinander verglichen. In Sambia wurden die Probleme besonders deutlich. Durch kriminelle Finanzgeschäfte, Korruption, Steuervermeidung und -hinterziehung fließen dort nach Schätzungen von Experten jedes Jahr im Schnitt 2,9 Milliarden US-Dollar an der Steuer vorbei. Demgegenüber steht ein Staatshaushalt von jährlich 2,7 Milliarden US-Dollar. Daran erkennt man deutlich die Dimension des Problems. Wenn Sambia auf die 2,9 Milliarden US-Dollar Steuern erheben würde, könnte man ganz viele Schulen, Straßen und Krankenhäuser bauen.
Frage: Wie sieht eine gerechte Steuerpolitik aus – auch mit Blick auf die Entwicklungsländer?
Alt: Das kann man nur bezogen auf das jeweilige Land beantworten. Wichtig ist aus unserer Sicht das Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Das bedeutet, dass die Höhe der Steuern von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Person, jeder einzelnen Firma abhängt. Ein weiterer Schritt ist, dass Betrug verhindert und geltendes Recht durchgesetzt werden muss. Das gilt für alle Länder. Gleichzeitig sind in allen untersuchten Ländern die Finanzverwaltungen chronisch unterbesetzt und es gibt zu viele rechtliche Schlupflöcher, die zur aggressiven Steuervermeidung führen.
Frage: Der Kölner Kardinal Woelki hat kürzlich die Wiedereinführung der Vermögenssteuer gefordert. Wäre das ein fairer Weg der Umverteilung?
Alt: Die Vermögenssteuer in Deutschland ist nie abgeschafft worden. Sie ist nur ausgesetzt, obwohl mittlerweile all die Mängel, die das Verfassungsgericht einst angemahnt hat, behoben wurden. Die Steuer könnte also jederzeit wieder in Kraft gesetzt werden – und das wäre auch sinnvoll, um anzuerkennen, wie sehr der Wert eines Vermögens auch von steuerlichen Investitionen abhängt. Ein Beispiel: Wenn BMW im Kongo sitzen würde, dann besäßen die Aktien von BMW nur einen Bruchteil ihres jetzigen Wertes. Das liegt daran, dass wir in Deutschland eine größere und bessere Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitskräfte, Rechtssicherheit und sozialen Frieden haben – alles Dinge, die von Steuergeld finanziert werden. Die Gemeinschaft trägt zur Wertsteigerung des Unternehmens bei. Daher finde ich den Ausdruck „Gemeinschaftssteuer“ passender als „Vermögenssteuer“.
Frage: Als ein Regulierungselement der Finanzmärkte schlagen Sie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer vor. Zehn EU-Länder, darunter auch Deutschland, wollen diese nun schon bis Ende des Jahres beschließen …
Alt: Wenn das klappen würde wäre das sensationell. Die EU-Finanzminister haben vier Jahre lang hart um die Steuer verhandelt – und ein Ergebnis nach so kurzer Zeit wäre bei so einem komplexen Sachverhalt erstaunlich. Zumal gewöhnlich übersehen wird: Zum ersten Mal in der Menschengeschichte würde eine gemeinsame Steuer anstelle des bislang vorherrschenden Steuerwettbewerbs treten. Hier haben wir ein historisches Paradigma, das Schule machen könnte. Wenn die Steuer erst einmal in zehn Ländern Europas eingeführt ist und man feststellt, dass das Abendland deswegen nicht untergeht, dann werden viele Länder nachziehen – Geld brauchen sie schließlich alle.
Frage: In Ihrem Buch haben Sie unter anderem 35 „Super-Reiche“ in Deutschland angeschrieben und sie gefragt, wie sie zu ihrem Vermögen und der daraus resultierenden Verantwortung stehen. Was ist dabei herum gekommen?
Alt: Die Mehrheit der Angeschriebenen hat gar nicht geantwortet. Lediglich zwei waren bereit zu einem Gespräch und die waren sehr besorgt über das wachsende Auseinanderklaffen von Arm und Reich in unserem Land. Meine beiden Gesprächspartner engagieren sich selbst zwar schon sehr stark in ihrer Region für eine gerechte Verteilung des Reichtums. Gleichzeitig beobachten sie mit Sorge, dass sich die Finanzmärkte immer stärker loslösen von der realen Ökonomie. Dieser Entwicklung stehen sie relativ hilflos gegenüber. Eine gemeinsame Steuerpolitik könnte hier einiges bewirken. Es heißt ja nicht umsonst, dass man mit Steuern auch steuern kann.
Frage: Sie haben in Ihrer Untersuchung auch Fragebögen an Politiker und Parteien geschickt. War die Resonanz hier auch so gering?
Alt: Nein. Die AfD und die Freien Wähler in Bayern waren die einzigen Parteien, die meinen Fragebogen nicht beantwortet haben. Für mich ist das keine Überraschung: In der Vergangenheit habe ich schon einmal mit AfD-Politikern über das Thema Steuergerechtigkeit diskutiert. Die AfD gibt sich immer als „Kleine-Leute-Partei“ aus. Wenn man allerdings sieht, welche Steuergeschenke sie den Reichen machen will, dann passt da etwas nicht.
Frage: Was kann jeder einzelne für eine gerechte Verteilung des Reichtums in Deutschland tun?
Alt: Es gibt zwei Aspekte, die sich jeder Steuerzahler bewusst machen sollte: Zum einen, dass Steuern kein Raub des Staates an uns sind. Es gibt in Deutschland zurzeit sehr viel Gemecker über Steuern und die öffentliche Verwaltung. Dabei braucht die Regierung Geld, um das zu finanzieren, was uns an unserem Land so gut gefällt. Unsere Demokratie, unsere Verwaltung und letztendlich unser gesamtes Staatswesen beruht auf Steuern. Darauf möchte keiner verzichten. Zumindest treffe ich wenige, die lieber in einen afrikanischen Staat umziehen würden, weil dort die Steuerlast niedriger ist.
Zum anderen sollte sich jeder im Klaren darüber sein, dass die höchsten privaten und betrieblichen Vermögen in den reichen Industriestaaten immer auf Kosten der armen Länder gewonnen wurden. Darum braucht es weltweit eine verstärkte Kooperation der Staaten und einiges an Unterstützung für und Zugeständnisse an ärmere Staaten, etwa beim automatischen Informationsaustausch. Wenn wir nur auf einen kleinen Teil unseres Vermögens verzichten würden, könnten arme Länder viel gewinnen. Auf diese Weise könnten wir uns eine Menge Spenden, Wohltätigkeit und Entwicklungshilfe sparen.
Das Interview führte Lena Kretschmann.
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