Zuflucht oder Brutplatz des Terrors?
Kenia ‐ Kenias Regierung betrachtet seine Flüchtlingscamps Dadaab und Kakuma als Brutstätte des Terrors und will die Schließung. Das Hilfswerk Misereor und die Vereinten Nationen warnen: Sollten die Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, drohten verheerende Folgen.
Aktualisiert: 17.05.2016
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Kenias Absicht, das größte Flüchtlingscamp der Welt schließen zu wollen, hat bei Misereor tiefe Besorgnis ausgelöst. Das Hilfswerk warnt vor einer humanitären Katastrophe. „Sollte die Regierung in Nairobi ihre Ankündigung wahr machen, würde dies bedeuten, dass Hunderttausende Menschen zurück in Gebiete müssten, die von Krieg und Gewalt, Hunger und extremer Armut betroffen sind“, sagte Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon am Freitag in Aachen.
Anfang Mai hatte Kenia die Auflösung der staatlichen Flüchtlingsbehörde und die Schließung der größten Lager Dadaab und Kakuma verkündet. Staatssekretär Karanja Kibicho begründete die Entscheidung mit der wachsenden Terrorgefahr, die von den Camps ausgehe. Angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen habe man der Radikalisierung der Flüchtlinge derzeit nur wenig entgegenzusetzen.
Laut Angaben von Misereor leben in Dadaab und Kakuma mehr als 600.000 Menschen, meist Frauen, Kinder und unbegleitete Minderjährige. Die seit 25 Jahren bestehenden Flüchtlingslager hätten mittlerweile eine umfangreiche Infrastruktur inklusive mehrerer Krankenhäuser, so das Hilfswerk.
Misereor: Eine Rückkehr ist undenkbar
„In den Lagern leben überwiegend Menschen aus Somalia und Südsudan“, erläuterte Bröckelmann-Simon. „Eine Rückkehr in ihre Heimatländer ist undenkbar. Somalia hat schon jetzt große Schwierigkeiten, die eigenen Binnenvertriebenen zu versorgen. Auch im Südsudan ist die Lage vor allem aufgrund des anhaltenden bewaffneten Konfliktes sehr prekär.“
Verschärft werde die Gesamtsituation in der Region rund um die Flüchtlingslager aktuell auch durch Versorgungsengpässe. Aufgrund der Größe der Lager und der derzeitigen Dürre werde das Wasser knapp, der Grundwasserspiegel sinke in bedrohlichem Maße, warnt Misereor.
Nach Ansicht von Bröckelmann-Simon würde eine Schließung der Lager das Flüchtlingsproblem nicht lösen. „Die meisten Betroffenen werden sich innerhalb Kenias an anderer Stelle illegal ansiedeln. Zudem würde die Zahl derjenigen, die sich auf den gefährlichen Weg Richtung Europa machen, sicherlich ansteigen.“ Nicht auszuschließen sei aber auch, dass die Menschen in benachbarten Staaten wie Uganda, Tansania und Äthiopien Schutz suchten, in denen bereits jetzt viele Flüchtlinge versorgt werden müssten.
Misereor wertet die Ankündigung der Lager-Schließungen auch als Mahnung an die internationale Gemeinschaft, Kenia bei der Bewältigung seiner Flüchtlingsprobleme stärker zu unterstützen. „Kenia hat über viele Jahre in bemerkenswerter Weise Gastfreundschaft gezeigt. Wir dürfen das Land mit dieser großen Belastung nun nicht allein lassen.“
UN warnt vor Schließung der Lager
Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) würdigte den Einsatz des ostafrikanischen Lands für die Flüchtlinge. „Fast ein Viertel Jahrhundert lang spielte Kenia eine Schlüsselrolle am Horn von Afrika, wenn es darum ging, Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Verfolgung flohen“, lobte das UNHCR vergangene Woche in einer Mitteilung.
Zugleich warnte das UN-Flüchtlingshilfswerk vor einer Schließung der beiden Lager. Die Probleme, die mehr als 600.000 Afrikaner zur Flucht gezwungen hätten, seien nach wie vor ungelöst. Eine Rücksendung der Kriegsvertriebenen in ihre Herkunftsländer scheide daher aus, so das UNHCR. „In dem heutigen Kontext von 60 Millionen gewaltvoll Vertriebenen, ist es wichtiger denn je, dass internationale Asylverpflichtungen aufrechterhalten und ausreichend unterstützt werden“, hieß es. An die Regierung in Nairobi appellierten die Vereinten Nationen, die Schließung zu überdenken. Diese könne im Widerspruch zu internationalen Verpflichtungen des Landes stehen.
Das Flüchtlingslager Dadaab ist heute nicht nur wichtigstes Wirtschaftszentrum für die Region, sondern inoffiziell auch Kenias viertgrößte Stadt. In Kakuma bilden Südsudanesen die überwiegende Mehrheit. Wegen des zunehmenden Flüchtlingsstroms mussten die Vereinten Nationen die Zeltanlage an der Grenze zu Uganda 2014 für zehn Millionen US-Dollar um mehr als die Hälfte vergrößern. (lek/KNA/Misereor)
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