Ein schwacher Kompromiss
Nach langem Ringen hat sich die UN-Klimakonferenz in Lima auf Eckpunkte für einen neuen Weltklimavertrag geeinigt. Umweltschützer kritisieren das Ergebnis als zu wenig ehrgeizig. Kathrin Schroeder nahm für das katholische Hilfswerk Misereor am Klimagipfel in Peru teil. In einem Gastbeitrag für das Internetportal Weltkirche zieht die Klima-Expertin eine Bilanz der Verhandlungen und erklärt, wie es nun weitergeht:
Aktualisiert: 13.11.2023
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Die 20. Weltklimakonferenz in Lima ist in der Nacht zum Sonntag gegen 2 Uhr zu Ende gegangen. Bis zuletzt wurde hart gerungen. Die Konferenz in Lima sollte den Weg für ein neues, für alle Staaten verbindliches Klimaschutzabkommen ebnen, das nächstes Jahr in Paris verabschiedet werden soll.
Die Bilanz fällt wie so oft gemischt aus. Das Positive: Es ist gelungen, einen Text mit Elementen für das neue Abkommen zu vereinbaren. Der Haken: In diesem Entwurf finden zwar alle Beteiligten Varianten, mit denen sie leben könnten, welche von diesen Punkten letztendlich den Weg in die neue Klimavereinbarung finden, wird sich jedoch erst im nächsten Jahr zeigen. In dem Abschlussdokument des 20. Klimagipfels, dem „Lima Call for Action“ , bekräftigen die Regierungen zwar, ihre jeweiligen Klimazusagen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres auf den Tisch zu legen, um somit die Grundlagen des globalen Klimaabkommens in Paris im kommenden Dezember zu bilden. Zugleich wurden allerdings einige der großen Fragen erneut verschoben und könnten uns allen später Kopfschmerzen verursachen.
Eigentlich sollte die Klimakonferenz am vergangenen Freitag zu Ende gehen. Der peruanische Konferenz-Präsident Manuel Pulgar Vidal schickte die Vertragsstaaten allerdings in die Verlängerung, weil wichtige Punkte wie zuverlässige Zusagen für Finanzierung, die Anerkennung von Verlusten und Schäden durch Klimawandel ( „Loss and Damage“ ) und verbindliche Regeln für die Überprüfung der verbindlichen Klimaziele lange strittig blieben.
Loss and Damage? Ohne uns!
Insbesondere für die kleinen Inselstaaten ist es wichtig, dass von der Weltgemeinschaft anerkannt wird, dass es für einige Schäden keine Anpassung geben kann. Denn Staaten wie Kiribati oder Tuvalu, aber auch einige Karibikinseln werden wahrscheinlich schon in wenigen Jahrzehnten von der Weltkarte verschwunden sein. Die Diskussion um die Frage, wie Verluste von Land und Ressourcen aufgefangen werden können, wird bei den Klimaverhandlungen unter dem Stichwort „Loss and Damage“ geführt. Die USA stellten in diesem Zusammenhang schnell klar, sie würden keinem Text zustimmen, in dem „Loss and Damage“ als relevanter Gegenstand genannt würde.
Sie befürchten wahrscheinlich, auf lange Sicht für ihre extremen Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen zu werden. Immerhin lag in den Vereinigten Staaten im Jahr 2010 der CO2-Ausstoß pro Kopf bei knapp 18 Tonnen . Also fügten sich die betroffenen Länder wieder einmal in der Hoffnung, dass im geplanten Pariser Abkommen ihr Anliegen prominenter aufgenommen würde. Die Verhandlerin Anna Elizabeth Tiraa von den Cook Islands gab zu Protokoll: „Uns ist als besonders verletzliches Land die Nennung von „Loss and Damage“ im Verhandlungstext ein zentrales Anliegen. Aber um hier eine Lösung zu finden, stimmen wir dem Entwurf zu.“
Entwicklungszusammenarbeit heißt heute oft: Anpassung an den Klimawandel
Schon heute erleben Partner von vielen Entwicklungsorganisationen die Folgen des Klimawandels am eigenen Leib: Wüsten breiten sich aus, das Meer dringt vielerorts tief ins Land ein (so beispielsweise im Senegal oder Bangladesch) und versalzt landwirtschaftlich genutzte Flächen und in den Andenländern schmelzen die Gletscher, die für viele Menschen lebensnotwendiges Wasser liefern. Hilfswerke wie Misereor arbeiten in ganz unterschiedlichen Projekten mit ihren Partnerorganisationen daran, dass die betroffenen Menschen lernen, sich an diese Veränderungen anzupassen. Manchmal sind das Deiche, manchmal landwirtschaftliche Bildungsprogramme, in denen die Bäuerinnen und Bauern im sparsamen Umgang mit Wasser oder zu angepassten Feldfrüchten geschult werden.
Diese Anpassungsmaßnahmen werden zukünftig noch viel wichtiger werden, da die Folgen des Klimawandels vor allem in den Ländern, die heute schon über wenig Ressourcen verfügen, auftreten werden. Aber auch im Beschluss von Lima wollten sich die Staaten, deren jahrhundertelangen Treibhausgasemissionen das Problem „Klimawandel“ verursacht haben, nicht auf Finanzzusagen festnageln lassen. Deutschland hat im Sommer viel dazu beigetragen, als die Bundesregierung sich frühzeitig auf eine Milliarde Dollar für den „Green Climate Fund“ festgelegt hat. Mit diesem will die Internationale Gemeinschaft den weltweiten Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel finanzieren. Auch während der Klimaverhandlungen in Lima hat die Bundesregierung für den Anpassungsfond noch 50 Millionen Euro zugesagt. Aber zu wenige Länder sind dem guten Beispiel gefolgt. Jetzt fehlt leider ein Plan, wie die 100 Milliarden Dollar jährlich, die die Industriestaaten den Entwicklungsländern ab 2020 versprochen hatten, erreicht werden sollen.
Natürlich hoffen wir, dass das nächstes Jahr anders wird – aber ehrlich gesagt: Ich habe nicht sehr viel Vertrauen darin, dass im nächsten Jahr die Geberländer ihre Meinung in dem Maße ändern, wie es nötig wäre.
Freiwillige Selbstverpflichtung zu mehr Klimaschutz
Vor der Konferenz in Lima war allen klar: Es wird nichts mit dem Pariser Abkommen, wenn sich nicht alle Vertragspartner zu mehr Klimaschutzmaßnahmen verpflichten. Diese sollen im Frühjahr 2015 als nationale Klimaschutzpläne (Intended National Determined Contributions = INDC) vorgelegt werden. Und wichtig ist: Es muss vergleichbar und überprüfbar sein, was die Länder dort hinein schreiben. Vor allem den Entwicklungsländern war es wichtig, dass sie in ihren Klimaschutzplänen nicht nur die Reduktion ihrer ohnehin schon geringen Treibhausgas-Emissionen festschreiben, sondern vor allem auch ihren Bedarf an Anpassung an den Klimawandel.
In Lima sollte das Format und der Inhalt dieser Pläne abgestimmt werden und möglichst auch, ob eine Überprüfung vorgesehen ist. Dies macht durchaus Sinn, wenn man gemeinsam das Ziel erreichen möchte, die globale Durchschnittstemperatur unter 2 Grad zu begrenzen. Allerdings wollten sich viele Länder lieber nicht so genau festlegen, was in diese Pläne aufgenommen werden soll. Beschlossen ist nun, dass Entwicklungsländer Unterstützung erhalten – Deutschland hat bereits jetzt 20 Ländern zugesagt, bei der Aufstellung der Pläne behilflich zu sein. Die Entwicklungsländer werden nun bis nächstes Jahr den Schwerpunkt voraussichtlich auf Anpassungsmaßnahmen legen; die Industrieländer eher auf Klimaschutz und Emissionsreduktion. Zwar ist die Überprüfung sehr schwach geregelt, aber viele Fachleute hoffen, dass diese im neuen Abkommen etwas strenger werden wird.
Alle sind unzufrieden – also ein gutes Abkommen?
Wenn aber die Vertragspartner sich immer wieder gegenseitig blockieren, wie kann es dann ein neues Klimaschutzabkommen geben? Der Druck von unten muss noch stärker werden. Im letzten Jahr und auch während der Weltklimakonferenz in Lima sind immer wieder tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben sich für wirksamen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit eingesetzt. In New York nahmen im September dieses Jahres sogar eine Millionen Menschen an einem großen Klima-Marsch teil.
Während des Klimagipfels in Lima haben sich der Papst und viele andere religiöse Führungspersönlichkeiten mit starken Appellen für mehr Klimagerechtigkeit an die Öffentlichkeit gewandt. Gemeinsam mit unzähligen Menschen weltweit forderten sie entschiedene und dringende Schritte für Klimaschutz, den Ausstieg aus den fossilen Energien und mehr Schutz für verletzliche Bevölkerungsgruppen .
Bis zum nächsten Jahr im Dezember in Paris heißt es nun für alle: Hausaufgaben erledigen! Hierzu mahnt Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch : „Insbesondere einige Schwellen- und Industrieländer müssen sich aus ihren festgefahrenen Positionen bewegen und die Blockadetaktik aufgeben.“
Aber auch Zuhause können wir alle sehr viel mehr tun, um mehr Druck auf die Klimaverhandlungen auszuüben. Denn Klimaschutz fängt auch im eigenen Haushalt, im Verband oder im Job an! Gemeinsam mit anderen kann man sich an der Fastenaktion von Misereor beteiligen, in der es 2015 um die weltweiten Auswirkungen des Klimawandels geht. Zudem laden von September bis Dezember 2015 die evangelische und katholische Kirche sowie kirchliche Organisationen aus Deutschland und Frankreich zu einem Ökumenischen Pilgerweg für mehr Klimagerechtigkeit ein. Es ist Zeit, anzupacken.
Von Kathrin Schroeder
Zur Autorin
Kathrin Schroeder ist Referentin für Energiepolitik bei Misereor. Sie nahm für das Entwicklungshilfswerk am Klimagipfel in Lima teil. Im Misereor-Blog berichtete sie aktuell von den Verhandlungen:Umweltschützer kritisieren Ergebnisse des UN-Klimagipfels
Umweltschützer und Entwicklungsorganisationen haben den auf dem UN-Klimagipfel in Lima erzielten Kompromiss kritisiert. Sie äußerten am Sonntag Unmut über „das schwache Ergebnis“ der letzten Vorbereitungskonferenz vor dem Umweltgipfel 2015 in Paris, wo ein neuer Klimavertrag verabschiedet werden soll. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation „Germanwatch“ sprach am Sonntag von einer „verpassten Gelegenheit“. Das katholische Hilfswerk Misereor nannte die Ergebnisse von Lima unzureichend. „Wieder einmal setzt die Weltgemeinschaft die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen aufs Spiel“, sagte Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Das Ergebnis reiche bei weitem nicht aus, um die Kehrtwende beim Klimawandel zu erreichen. „Die Leidtragenden sind und bleiben die Verletzlichsten in den ärmsten Ländern, die jetzt schon von den Folgen des Klimawandels betroffen sind“, so Spiegel. Die Klimaexpertin des World Wide Fund for Nature (WWF), Regine Günther, erklärte, die Konferenz sei „eine Verschwendung von Zeit und Energie“ gewesen. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, betonte: „Lima setzt ein falsches Signal: Alle können die Atmosphäre ungestört weiter aufheizen.“ Auch Greenpeace erklärte: „Der mühsam errungene Kompromiss ist enttäuschend, denn er verschiebt die wichtigsten Streitpunkte auf nächstes Jahr.“ Als „Minimalkonsens“ bezeichnete Sabine Minninger, Klimareferentin von „Brot für die Welt“, das Ergebnis des UN-Gipfels. Zwar sei die Welt auf dem Weg zu einem globalen Klimaabkommen ein kleines Stück vorangekommen. Doch „insbesondere für die ärmsten und verletzlichsten Länder ist die Erklärung von Lima nicht ausreichend“. (KNA)13.11.2023: Links korrigiert