Urs Eigenmann, Schweizer Theologe und engagiert in der Theologischen Bewegung für Solidarität und Befreiung in der Schweiz, hielt das Referat am Vormittag zum Thema „Das Konzil, das Reich Gottes und die Kirche der Armen“. Mit der Wahl von Papst Johannes XXIII. ende die sogenannte Pianische Epoche, die nach den Päpsten Pius IX. bis Pius XII. benannt sei. Johannes XXIII. sei der überraschende und prophetische Initiator des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) gewesen.
Von einer Kultur der Abschottung hin zum „Aggiornamento“
Nach dem Ersten Vatikanum (1869–1870) hätte die Kirche eine Entwicklung genommen, in der sie selbst und der Papst über allem gestanden hätte. Sie hätte auf eine Politik der Abgrenzung gesetzt, ein in sich geschlossenes System gebildet und sich nach außen von der Gesellschaft abgeschottet. Mit Johannes XXIII., der aus einfachen, ländlichen Verhältnissen stammte, sei ein neuer Stil in den Vatikan gekommen. Der imperiale Staub der Vergangenheit der Konstantinischen Ära müsse weggewischt werden, soll er zu Beginn seines Pontifikates gesagt haben. Es sei ihm darum gegangen, die Irrtümer der Kirche aufzudecken und zu überwinden zugunsten des „Aggiornamentos“, des „Heute-Werdens“, der Kirche.
Die Einberufung des Konzils, die Pastoralkonstitution des Konzils „Gaudium et spes“ und die begleitenden Diskussionen, vor allem die Versammlungen der Initiative „Kirche der Armen“, die schließlich in den Katakombenpakt mündeten, hätten ein neues Bild von Kirche hervorgebracht. Erstmalig wurden in kirchlichen Dokumenten die Armen und Begrenzten in den Blick genommen: die Option für die Armen entstand. Urs Eigenmann zitierte den Befreiungstheologen Jon Sobrino SJ, Freund und Berater des ermordeten salvadorianischen Erzbischofs Oscar Romero, der feststelle, dass es ohne das Konzil keine Kirche der Armen und keine Option für die Armen gegeben hätte.
Bruch mit der imperialen Kirche
Eigenmann analysiert in seinem Vortrag, dass sich mit der Konstantischen Wende im Jahre 313 aus einer prophetisch-messianischen Christenheit ein imperial-kolonisierendes Christentum entwickelt hätte, das bis in die Gegenwart die Kirche geprägt hätte. Mit dem Konzil sei allerdings eine Rückbesinnung auf die Bibel, auf das Wort Gottes eingeleitet worden. Das Lehramt stehe nicht mehr über dem Wort Gottes, sondern es stehe in seinem Dienst. Mit dem Konzil solle in der Kirche eine neue Ära eingeleitet werden in der Rückbesinnung auf das Reich Gottes zur Gestaltung der irdischen Wirklichkeit. Der Katakombenpakt sei schon während des Konzils dessen Rezension gewesen. Mit der Option für die Armen und der sich entwickelnden Theologie der Befreiung sei der Bruch mit der imperialen Kirche vollzogen worden. Das betone auch Papst Franziskus, wenn er heute diese Anliegen des Konzils aufnehme und die Reich-Gottes-Theologie weiter schreibe, indem er in seinem Lehrschreiben „Evangelii gaudium“ sagt: „Evangelisierung der Welt bedeutet, das Reich Gottes sichtbar zu machen.“
Nach dem Vortrag von Urs Eigenmann und der anschließenden Aussprache im Plenum stand der Nachmittag des Donnerstages den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für verschiedene Workshops und Exkursionen zur Verfügung, bei denen es neben Projekten einer Kirche der Armen unter anderem auch um die Fragen nach Menschenrechten, der Situation der Flüchtlinge in Europa und um eine muslimische Befreiungstheologie ging.
Von Franz-Thomas Sonka, Bistum Münster
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