Nicht nur das Gemeinwohl einzelner Nationen ist also anzustreben, sondern das Weltgemeinwohl ist in den Blick zu nehmen. Papst Franziskus greift diese Aussagen in seiner öko-sozialen Enzyklika Laudato si‘ (2015) wieder auf. Er schreibt: „Das Gemeinwohl geht vom Respekt der menschlichen Person als solcher aus mit grundlegenden und unveräußerlichen Rechten im Hinblick auf ihre ganzheitliche Entwicklung. Es verlangt auch das soziale Wohl und die Entfaltung der verschiedenen intermediären Gruppen, indem es das Prinzip der Subsidiarität anwendet. Unter diesen ragt besonders die Familie als Grundzelle der Gesellschaft heraus. Schließlich erfordert das Gemeinwohl den sozialen Frieden, das heißt die Stabilität und die Sicherheit einer bestimmten Ordnung, die ohne eine spezielle Aufmerksamkeit gegenüber der distributiven Gerechtigkeit nicht zu verwirklichen ist, denn die Verletzung dieser Gerechtigkeit erzeugt immer Gewalt. Die gesamte Gesellschaft – und in ihr in besonderer Weise der Staat – hat die Pflicht, das Gemeinwohl zu verteidigen und zu fördern.“ (Laudato si‘ Nr. 157)
Konkreter kann man mit Bambergs Erzbischof Dr. Ludwig Schick (1) auf drei wesentliche Elemente des so verstandenen Gemeinwohls verweisen:
- „1. Das Gemeinwohl beruht auf der Achtung der Würde und der unveräußerlichen Grundrechte jeder Person. Der Mensch kann sich nur dann entfalten und sein Glück finden, wenn ihm das Recht zum Handeln nach der rechten Norm seines Gewissens, das Recht auf Schutz des Privatlebens und auf die rechte Freiheit, und zwar auch im religiösen Bereich (Gaudium et spes Nr. 26) ermöglicht wird.
- 2. Das Gemeinwohl verlangt das ‚soziale Wohl‘ und die Entwicklung der Gemeinschaft. Dazu gehört, was für ein wirklich menschliches Leben notwendig ist: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesundheitsfürsorge, Arbeit, Bildung, Information und Recht auf Ehe und Familie.
- 3. Zum Gemeinwohl gehören schließlich der Friede und die Sicherheit durch eine funktionierende öffentliche Gewalt und durch den Rechtsschutz der Verteidigung vor Gericht.“
Eine wichtige Folgerung aus diesem Verständnis von Gemeinwohl ist die allgemeine Bestimmung der Güter dieser Welt, die unter anderem die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums, die effektive Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum für alle, die Hilfe von Menschen in extremen Notlagen, die Solidarität mit Entwicklungsländern und eine effektive Option für die Armen, für den Arten-, Boden-, Gewässer- und Klimaschutz sowie das strikte Eingrenzen der privaten Ausbeutung natürlicher Ressourcen verlangt, und die nicht nur die Arbeit der Kirche, sondern jedes wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Handeln bestimmen muss.
Die Idee des Gemeinwohls ist im Sinn der kirchlichen Soziallehre eng mit der Idee der Solidarität verbunden, die verstanden wird als „die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das ,Gemeinwohl‘ einzusetzen“ (Sollicitudo rei socialis Nr. 38) und als ein Ordnungsprinzip für Institutionen, das hilft ,Strukturen der Sünde‘ zu überwinden und Strukturen der Solidarität zu schaffen: „Jeder Einzelne und die gesellschaftlichen Gruppen können und müssen zur Verwirklichung des Gemeinwohls beitragen, und sie sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu auch aufgerufen. In erster Linie ist das Gemeinwohl jedoch die ethische Orientierungsgröße für die strukturierte politische Gemeinschaft. Beim Gemeinwohl geht es um den Zustand und die Ausrichtung der verfassten Gesellschaft, der polis, also zum Beispiel der Stadt oder des Staates, auf das Wohl aller.“(2)
Von Alexandra Hofstätter, Landeskomitee der Katholiken in Bayern
Fußnote:
(1+2) Aus: L. Schick, Auf dem Weg zu einer Politik des Weltgemeinwohls. In: Kompass 3/2012, S. 6
© weltkirche.katholisch.de