Nach dieser christlichen Ausbildungsstätte haben wir den orthodoxen Bischof Alexis besucht, der zu uns sehr offen über die Situation der Christen in Gaza gesprochen hat. Danach sind wir ganz in den Süden bis zur ägyptischen Grenze gefahren, wo wir ein christliches Taubstummenheim besucht haben. Inzwischen sind wir wieder nach Gaza (im Norden) zurückgefahren, wo wir in einem Hotel zu Abend gegessen haben und hier auch übernachten werden.
Meine Erkenntnis dieses Tages: Das große Problem in Gaza ist neben der unsicheren, ständig gefährdeten Friedenssituation eine „doppelte Ausweglosigkeit“: zum einen eine äußere und zum anderen eine innere.
- Eine äußere Ausweglosigkeit:
Der Gazastreifen ist mit einer Mauer wie der früheren Berliner Mauer abgeriegelt, so dass im Grunde niemand heraus, aber auch niemand hinein kommt (er ist für Touristen gesperrt). Bischof Alexis sagte uns heute: „Es ist ein ganz kleiner Landstrich und zugleich ein ganz großes Gefängnis“. Es gibt für die Menschen, die hier leben, keine Reise- und Bewegungsfreiheit. Das ist sehr bedrückend, vor allem für die vielen jungen Menschen: rund 50 Prozent der Menschen hier sind jünger als 18 Jahre alt. Hinzu kommt für diese noch - eine innere Ausweglosigkeit:
Bei fast 50 Prozent Arbeitslosigkeit im Gazastreifen haben vor allem die vielen jungen Leute kaum eine berufliche Zukunftsperspektive. Im Land wird es für Sie kaum Arbeit geben und außerhalb ihres Landes werden sie keine Arbeit suchen dürfen.
Diese Gesamtsituation ist doch ziemlich bedrückend und deprimierend. Und es ist mir schmerzlich bewusst geworden, dass sich an dieser Grundsituation auch durch unseren Besuch nichts verändern wird. Sicher: Die Menschen, die wir besucht haben, haben sich gefreut und waren dankbar, dass wir ihnen vermitteln konnten, dass sie nicht vergessen sind. Aber arg viel mehr konnten wir ihnen leider nicht geben. Und das ist doch ziemlich wenig! Umso erstaunlicher war für mich, dass wir trotzdem heute vielen sehr positiven, optimistischen und gelassenen Menschen begegnet sind, die überhaupt keinen verzweifelten Eindruck auf mich gemacht haben, wahrscheinlich deshalb, weil sie eben offenbar die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben.
Morgen früh werden wir Gaza wieder verlassen und nach Tel Aviv fahren, wo wir mit verschiedenen Botschaftern zusammentreffen werden, wobei es inzwischen fraglich geworden ist, ob von denen überhaupt jemand kommen wird, weil morgen ja
Ariel Sharon
in Tel Aviv beerdigt wird.
Von Weihbischof Thomas Maria Renz