Antworten auf HIV/AIDS
Obwohl AIDS zweifelsohne eine Krankheit ist, kann der Kampf dagegen nicht allein auf medizinischem Weg gewonnen werden. Analysen über Ausbreitungsweisen zeigen deutlich, dass eine Vielzahl von Faktoren die Verbreitung des Virus begünstigen. Auf individueller Ebene spielt sicherlich das eigene Verhalten eine große Rolle. Also die Vermeidung von Risikokontakten, Treue innerhalb von Partnerschaften und die Nutzung von Schutzmaßnahmen. Diese Strategien liegen auch dem bekannten ABC-Ansatz (abstinence, be faithful, condoms) zu Grunde, der eine Verbreitung des Virus verhindern soll. Individuelle Schutzmaßnahmen und auf das Verhalten einzelner abzielende Ratschläge stoßen aber in aller Regel dort an eine Grenze, wo sie von sozialen und kulturellen Normen, Gegebenheiten und Wertvorstellungen konterkariert werden:
- Welchen Schutz kann Enthaltsamkeit in einer Gesellschaft bieten, wenn Frauen zu Geschlechtsverkehr gezwungen werden oder den Familienunterhalt als Sexarbeiterinnen verdienen müssen?
- Wie kann Treue schützen, wenn in manchen Gesellschaften Treue nur von der Frau erwartet wird und es dem Mann erlaubt ist, außereheliche Sexualpartnerinnen zu haben?
- Auch wenn der Kondomgebrauch eine relative Sicherheit bei sexuellen Risikokontakten ermöglicht, muss gefragt werden, wie z.B. Frauen auf Kondomnutzung bestehen können, wenn in ihrer Gesellschaft Männer über Sexualpraktiken bestimmen dürfen? Wie vertagen sich Kondome mit dem in vielen Kulturen vorherrschendem Ideal der Fruchtbarkeit?
Diese und andere Beispiele zeigen, dass ein geeigneter Präventionsansatz nicht auf das Individuum beschränkt sein kann, vielmehr müssen auch soziale Komponenten in den Fokus gerückt werden. Weiterhin müssen noch andere gesellschaftliche Faktoren beachtet werden: Armut, medizinische Infrastruktur, Bildungsniveau etc.
Ein weiteres großes Problem aller Präventionsmaßnahmen ist die Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS. Diese vielfach zu findende gesellschaftliche Exklusion erzeugt häufig ein Klima der Angst bei den Betroffenen. Diese Angst mündet in der Regel in Schweigen: Infizierte Menschen verschweigen ihren HIV-Status oder suchen keine medizinische Hilfe aus Angst vor gesellschaftlicher Diskriminierung. Dies kann nicht nur schwerwiegende gesundheitliche Folgen für diese Menschen haben, sondern erhöht auch die Gefahr für Dritte unwissentlich einen Risikokontakt zu haben.
Ein effektiver Präventionsansatz gegen HIV/AIDS kann also nicht auf einen Einflussfaktor begrenzt werden. Es braucht tatsächlich eine multidimensionale Strategie, die – natürlich neben einer adäquaten medizinischen Versorgung –individuelles Verhalten, ökonomische Situation, soziale und kulturelle Wertvorstellungen und Deutungsmuster, sowie strukturelle Gegebenheit in den Blick nimmt und transformiert.
Und die katholische Kirche?
Gerade in den ärmsten Ländern dieser Welt leistet die katholische Kirche einen immens wichtigen Beitrag in der Begleitung und Behandlung infizierter und erkrankter Menschen. Oftmals verfolgt sie dabei – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – einen Ansatz, der sich an der komplexen Ausbreitungssituation von HIV/AIDS orientiert. So ruft sie zu verantwortlichem Handeln auf, bietet medizinische Hilfe an, unterhält Schulen und leistet seelsorgerliche und spirituelle Begleitung.
Dennoch muss resümiert werden, dass die Kirche nicht nur eine Akteurin im Kampf gegen HIV/AIDS ist, sondern auch Teil des „Ausbreitungssystems“ ist. So zeigen Untersuchungen, dass die Kirche die gesellschaftliche Exklusion von Infizierten und Erkrankten durch bestimmte Praktiken und Äußerungen unterstützt. Aber auch innerhalb der Kirche gibt es Ausgrenzungstendenzen, so dass sich Betroffene nicht angenommen fühlen und das Klima der Angst und des Schweigens sich auch in der Kirche breit gemacht hat. Auch die kirchliche Position zum Kondomgebrauch, ihre Verknüpfung von Sexualität und Fruchtbarkeit und ihre Position zu Gender erschweren oft eine hilfreiche HIV-Prävention.
HIV und AIDS ist und bleibt eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft und die Kirche. Denn mit dieser Erkrankung sind nicht nur Millionen tragischer Einzelfälle verbunden, zugleich wirkt der Virus auch gleichsam wie ein Scheinwerfer, der soziale und strukturelle Ungerechtigkeiten in Gesellschaft und Kirche ans Licht bringt. Blickt man auf die nun etwa 30-jährige AIDS-Geschichte zurück, kann gesagt werden, dass viele wichtige Schritte schon unternommen wurden; es ist aber noch ein langer und steiniger Weg, bis diese Krankheit überwunden ist.
Von Dr. Markus Patenge, Institut für Weltkirche und Mission
Stand: April 2018
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