Die Aufmerksamkeit galt nicht jedem Menschen, sondern den Menschen in „Entwicklungsländern“, und sie galt nicht dem ganzen Menschen, sondern in erster Linie dem „homo oeconomicus“ und damit der Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit „unterentwickelter Länder“.
Diese Fokussierung ist nachvollziehbar. Armut als Massenphänomen stellt Länder mit niedrigem Durchschnittseinkommen vor andere Herausforderungen als reiche Industrienationen. Es geht nicht nur um Verteilung, sondern auch darum, die Mittel, die nötig sind, um die Grundbedürfnisse und Grundrechte der eigenen Bevölkerung an Nahrung, Bildung, Gesundheit etc. befriedigen zu können, erst einmal zu erwirtschaften. Dennoch: Der einseitige Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen hat zu blinden Flecken in der Wahrnehmung geführt, die sich zunehmend als Hindernisse auf dem Weg zu einer umfassenden und ganzheitlichen Entwicklung zeigen.
In dem ganzheitlichen Entwicklungsverständnis der christlichen Kirchen ist die Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens kein Selbstzweck, sondern es geht darum, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, seine Potenziale für die Gestaltung seines Lebens und für das gemeinsame Wohlergehen einzubringen. Es geht um ein Leben in Würde, Freiheit und Verantwortung. Entwicklungszusammenarbeit besteht dann in dem gemeinsamen Bemühen, die Hindernisse beiseite zu schaffen, die ein solches Leben zu ersticken drohen. Durch die eigene Arbeit die materiellen Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben legen zu können, spielt dabei eine ganz zentrale, aber nicht die einzige Rolle. Es geht auch um gerechte Verhältnisse zwischen Männern und Frauen, um den Schutz von Schwachen und Minderheiten, um Sicherheit und verantwortungsvolle Regierungsführung, um politische Beteiligung, um faire zwischenstaatliche Beziehungen und um ein verantwortliches Verhältnis zur Schöpfung, als deren Hüter und Bewahrer der Mensch nach christlichem Verständnis eingesetzt ist.
In wichtigen Bereichen wie Grundbildung, medizinischer Versorgung und Einkommenssteigerung sind in den vergangenen Jahrzehnten trotz einer stark wachsenden Bevölkerung gerade in armen Ländern viele Verbesserungen erreicht worden. Trotzdem ist aber das Ziel einer umfassenden, ganzheitlichen Entwicklung weiterhin zahlreichen, teilweise auch neuen Gefährdungen ausgesetzt. Ihnen wirksam zu begegnen, erfordert in vielen Bereichen eine kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Praxis von Entwicklungszusammenarbeit.