Stärkung lokaler Systeme
Frage: Welche Rolle kann die katholische Kirche im Hinblick auf die Corona-Epidemie in afrikanischen Ländern spielen?
Professor Dr. Stich: In dieser Krise zeigt es sich wie in vielen anderen Dingen auch, wie wichtig eine Stärkung der lokalen Systeme ist: des Gesundheitssystems, der Zivilgesellschaft, der Dinge, die eigentlich eine Gesellschaft zusammenhalten. Und in diesem Zusammenhang spielt die katholische Kirche eine ungeheuer bedeutende Rolle. Wir in Deutschland sehen die katholische Kirche ja eigentlich nur mit unserer Brille: der unsägliche Missbrauchsskandal, der Vertrauensverlust der Kirche in der öffentlichen Meinungsbildung, die Diskussion um Frauen im Priesteramt, Maria 2.0 und der synodale Weg. Das ist alles wichtig und muss unbedingt bearbeitet werden, keine Frage. Doch es ist ein Tunnelblick auf unsere Verhältnisse. Global gesehen spielt die Kirche eine weitaus wichtigere Rolle, als wir uns das hier vorstellen können. Die Kirche ist ein Global Player, wenn man so will, und sie hat ein Netzwerk, das viele andere Organisationen sich nur wünschen können.
Frage: Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen?
Professor Dr. Stich: Wir haben mit Covid-19 noch wenig Erfahrungen, aber wir haben sie mit Ebola im Kongo: Auf dem Höhepunkt der zweitgrößten Ebola-Epidemie gab es 2019 tausende Tote in einer Region im Ost-Kongo, die seit Jahrzehnten von einem furchtbaren Bürgerkrieg heimgesucht wird. Die Weltgesundheitsorganisation wunderte sich, warum die Bevölkerung im Kongo nicht bereit war, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Schließlich fand sie heraus, dass Ebola für die Menschen dort das Geringste aller Probleme ist. Die größten Probleme sind Krieg, Hunger, Perspektivlosigkeit, Korruption und marodierende Bewaffnete, die durchs Land ziehen. Die Menschen misstrauten jeder Aussage, die von außen kam, auch solchen der Regierung in Kinshasa.
Im August 2019 besuchte Kardinal Peter Turkson aus Rom den Ost-Kongo. Zusammen mit den Bischöfen versuchte er, die katholische Kirche in den Ausbruchsgebieten zu mobilisieren, all die Priester, Ordensleute, Schwestern und Gemeindearbeiter. Seine Botschaft war: ‚Es kommt jetzt sehr auf euch an und ihr müsst jetzt in euren Dörfern Maßnahmen der Hygiene zur Bekämpfung von Ebola zulassen‘. Und mit einem Mal gingen die Fallzahlen massiv zurück bis zum heutigen Tag, wo Ebola praktisch vorbei ist. Das Beispiel im Kongo zeigt, welche Kraft hinter der Kirche als Struktur stehen kann, wenn sie ihre Kräfte bündelt. Und so ist es jetzt auch, eine Chance, die wir mit der Corona-Pandemie haben.
Frage: Was können wir hier in Deutschland tun?
Professor Dr. Stich: Wir müssen global-solidarisch handeln. Das heißt, wir hier in Deutschland müssen verstehen, es geht nicht nur um unseren Mundschutz, ob Altersheime wieder besucht werden können, ob man ins Restaurant gehen kann und Biergärten öffnen, sondern dass es eine Bedrohung für die Ärmsten dieser Welt ist und damit eine solidarische Aufgabe für uns alle. Und welche andere Struktur als die Kirche – ich will da jetzt nicht sagen katholisch, sondern generell die Kirchen – wäre denn besser geeignet, wirklich nah am Menschen diese Arbeiten umzusetzen und Organisationen und Strukturen vor Ort zu stärken.