Die meisten der Jungs sind von Zuhause abgehauen. „Häufig ist es so, dass die Großstadt eine besondere Faszination auf sie ausübt“, erzählt Vater George Nadackal, der Direktor von Ashalayam, über die Illusion, mit der viele Jungs in die indischen Megastädte kommen. „Wenn sie einmal an den Bahnhöfen gelandet sind, beginnt das Elend für sie.“ Die Jungs hängen rum und betteln, sie suchen Essen, Schutz vor der Polizei und einen Platz zum Schlafen. „Und sie werden als billige Arbeitskraft ausgebeutet, beispielsweise in Tee-Häusern, wo sie Geschirr spülen. Es gibt einfach viele Menschen, für die sei eine leichte Beute sind“, sagt Vater George.
Die meisten Jungs landen und leben am Bahnhof von Neu Delhi. „Darum sind wir dort auch besonders präsent“, so der Ashalayam-Direktor. Insgesamt acht Mitarbeiter sind auf den Straßen der Stadt im Einsatz, außerdem bringt die Polizei Kinder, die sie aufgegriffen hat, in das Heim oder die Jungen wurden aus der Kinderarbeit befreit. „Mädchen sehen wir selten auf den Straßen, sie werden eher Opfer von Menschenhändlern und Zwangsprostitution.“
Vater George sitzt in seinem Büro im Haupthaus von Ashalayam. Das dreigeschossige Gebäude in Form eines V steht in Palamgaon, einem bürgerlichen Stadtteil im Südwesten Delhis. Hier leben derzeit rund hundert Jungen. Einige von ihnen spielen im Hof Basketball, Fußball und Cricket, einer fährt auf Rollschuhen umher.
Die Geschichte von Vijay
Der zehnjährige Vijay* legt den Basketball zur Seite, setzt sich auf die Treppe vor dem Haupteingang und erzählt von seinem Weg nach Ashalayam. „Ich war mit meiner Familie im Wald zum Holz sammeln. Dann waren plötzlich alle weg“, erinnert sich Vijay. Er hat lange geschwungene Wimpern, einen großen Leberfleck auf der linken Wange, sein linker Schneidezahn ist abgebrochen. Wenn er erzählt, knetet Vijay seine Hände und blickt nach unten. Wo sein Zuhause ist, kann er nicht sagen. Und auch nicht, in welchem Wald er seine Familie verloren hat: „In einem Wald eben.“