Die Kriegsgefahr war es auch, die Aleksander Borowskich nach Charkiw brachte. „In Lugansk hörte ich die Bomben und so bin ich weg“, sagt der 40-Jährige. Ursprünglich sollte er nur zwei Wochen bleiben, daher hatte er kaum Gepäck bei sich. Daraus sind nun vier Jahre geworden. Borowskich ist seit einigen Wochen regelmäßig bei der Caritas des griechisch-katholischen Bistums in Charkiw. Nicht, weil er humanitäre Güter braucht, die er hier auch abholen könnte. Vielmehr will er sich fortbilden. Für Kriegsflüchtlinge nämlich bietet die Caritas Kurse zur Existenzgründung an und schuf für Selbstständige sogenannte Co-Working-Arbeitsplätze. Der 40-jährige Borowskich hatte mehrere Jobs in Charkiw ausprobiert und hofft nun, durch die richtigen Ratschläge, sein Geschäft mit Computerreparaturen voranzubringen. „Es ist nicht leicht, aber ich habe mich mit meinem Schicksal versöhnt“, sagt er.
Mit dem Schicksal versöhnt? Viola sitzt in einer kaum möblierten Dreizimmerwohnung am Stadtrand von Charkiw und denkt nach. In den Ecken liegen Säcke mit Altkleidern, die sie u.a. von der Caritas erhalten hat. An einer Wand im Wohnzimmer ist eine Art kleiner Hausaltar mit Ikone, einem Familienbild und einem Foto eines Mannes mit vielen Sportabzeichen. „Es ist mein Mann, er ist spurlos verschwunden und monatelang haben wir nichts von ihm gehört“, sagt Viola mit trauriger Stimme, den Tränen nahe. Als der Konflikt in ihrer Heimatstadt Lugansk begann, kämpfte der 45-Jährige als Freiwilliger in ukrainischen Verbänden.
Nach Verlust mit eigenem Leben versöhnt?
Nach neun Monaten erhielt die 41-jährige Familienmutter die Nachricht, ihr Mann sei bei den schweren Gefechten um Lugansk am 24. August 2014 gefallen. Begraben wurde er provisorisch irgendwo im Donezker Gebiet. Die Nichtregierungsorganisation „Schwarze Tulpe“ fand sein Grab und ließ den Leichnam exhumieren, Viola konnte ihren Mann in Kiew bestatten. „Das war notwendig, damit ich beruhigt bin. Denn als das Grab verschlossen war, wusste ich, wo er wirklich ist“, erzählt sie. Damit geht vielleicht auch eine monatelange Odyssee für die Familie zu Ende, Flucht nach Kiew und zwischenzeitlich in andere Städte, schließlich nach Charkiw. Fünf Mal mussten die Kinder Aristarkh (10) und Aglaja (11) die Schule wechseln. „Meine Perspektive ist nun, dem Leben eine neue Richtung zu geben“, sagt die 41-jährige Mutter.