Frage: Ist die Eskalation durch die Islamisten im Norden Malis also eine Chance für den christlich-islamischen Dialog?
Stamer: In Mali auf jeden Fall. Früher hat man nicht viel über das Zusammenleben von Christen und Muslimen nachgedacht. Das war normal. Jetzt, durch diesen Einfall der Islamisten, denken die Muslime viel stärker darüber nach, wie sie ihre Religion leben und wie sie mit anderen zusammenleben. Da gibt es viel mehr Initiativen zur Begegnung von muslimischer Seite als früher.
Frage: Viele Malier verlassen das Land und begeben sich auf die Flucht Richtung Europa.
Stamer: Die jungen Leute in Mali sehen keine Zukunft und der Drang, ins Ausland zu gehen, steckt bei vielen drin. Nur zieht es sie jetzt stärker als früher nach Europa. Früher gingen viele Malier in die Elfenbeinküste, den Senegal, arbeiteten dort auf Erdnussfeldern oder in Gabun während des Ölbooms. Diese Perspektiven in den Nachbarländern gibt es heute so nicht mehr.
Die Wanderungsbewegungen haben auch klimatische Gründe. Ein Großteil der Malier gehört der Landbevölkerung an. Es gibt nur eine Regenzeit von Juni bis Dezember. Wenn die Ernte eingebracht ist, sind die jungen Leute auf dem Land arbeitslos und gehen in die Stadt, um dort Geld zu verdienen. Viele gehen weiter ins Ausland. Und mit den modernen Medien kennen die Malier Europa besser als früher.
Jetzt fliehen sie über Niger nach Libyen und versuchen nach Europa zu gelangen. Von der libyschen Regierung aus werden Rückführungen gemacht. Alle zwei, drei Wochen kommt in Mali ein Flugzeug mit über 200 Flüchtlingen an.
Das Interview führte Claudia Zeisel
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