Schließen sich Religion und Entwicklung in manchen Bereichen aus? Ich stelle fest: Von „Religion“ allgemein zu sprechen ist schwierig. Es sind Gemeinschaften, Gruppen, die Glaubensvorstellungen konkret leben, fassbar werden lassen. Sie drücken ihre Vorstellung von dem, wie sie die Welt gestalten wollen, nicht nur in ihrem sozialen und individuellen Einsatz für andere, sondern auch in ihren Gebeten aus. Dieser oder jener Glaube führt zu einer Entwicklung, die ich will oder die ich nicht will, die Leben fördert oder im Extremfall zerstört.
Deswegen braucht es unausweichlich den Dialog darüber, wie wir unseren Glauben jeweils verstehen und welche Art von Entwicklung daraus folgt. Um etwas holzschnittartig zu sprechen: Es gibt viele Menschen in Europa, die überzeugt sind, dass unsere Art von Leben und Produzieren DAS Modell für den Planeten ist. Dabei ist längst klar: Wir sind Teil des Problems, zerstören damit das Klima, sind verwickelt in Kriege, zerstören unsere eigenen Seelen mit einem Immer-Mehr, Immer-Schneller haben wollen. Hier braucht es eine Umkehr, für die wir von anderen Kulturen lernen können.
Frage: Die deutsche Entwicklungspolitik will enger mit Religionsgemeinschaften kooperieren, auch das Auswärtige Amt hat mit seiner Konferenz „Friedensverantwortung der Religionen“ vor Kurzem gezeigt: Religion gerät zunehmend ins Blickfeld der internationalen Politik. Erzbischof Schick sprach gar von einer Kehrtwende, bei der Religionen nicht mehr als Ursachen von Gewalt und Konflikten denn vielmehr als Friedensbotschafter gelten. Woher kommt Ihrer Meinung nach dieser neue Bedeutungszuwachs der Religion für die Politik?
Spiegel: Nun, Religionen bzw. religiös motivierte Akteure sind nach wie vor auch Teil des Ursachenbündels von gewaltsam ausgetragenen Konflikten. Das ist nicht vorbei und muss weiter bedacht werden.
Aber in der Politik wird zunehmend das Potential der Religionen erkannt, bei der Umsetzung der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens mitzuarbeiten. Denn Religionen können zum Beispiel das Umweltverständnis von Menschen beeinflussen: Dürfen wir die Schöpfung rücksichtlos zu unserem eigenen Nutzen jetzt ausbeuten oder sind wir als Teil der Schöpfung eingeladen, sie rücksichtsvoll zu gestalten und für kommende Generationen so zu hüten, dass das Leben lebenswert bleibt?
Bei der Betonung der Friedensfähigkeit bzw. des Beitrags von Religionen zur Entwicklung geht es vielmehr darum, die Ressourcen von Religionsgemeinschaften zu sehen, die sie für Entwicklungs- und Friedensprozesse mitbringen. Christlicher Glaube kann die Selbsthilfefähigkeit – heute oft unter dem Stichwort „Resilienz“ diskutiert – stärken, aber er kann auch zu Solidarität mit denen befähigen, die sich nicht selber helfen können. Religionen motivieren Menschen, geben Orientierung, öffnen Horizonte, vergemeinschaften und machen sie gesellschaftlich sichtbar. Religiös organisierte Menschen sind in Gegenden anzutreffen, in denen der Staat nicht mehr anzutreffen ist. In der katholischen Kirche haben die Orden hier einen besonderen Verdienst, und hierin nochmals besonders die Frauenorden.