Außerehelicher Sex ist für 18 Prozent katholischer Chilenen tabu; bei Protestanten sehen dies 51 Prozent so. 8 Prozent der Katholiken in Venezuela teilen das römische Verbot künstlicher Empfängnisverhütung; unter Protestanten sind es 20 Prozent. Praktizierte Homosexualität ist für 55 Prozent katholischer Mexikaner unsittlich, hingegen für 77 Prozent der evangelischen Christen.
Im Vergleich zu europäischen Katholiken und selbst Hispanics in den USA stehen katholische Lateinamerikaner zwar überdurchschnittlich fest zu den Moralauffassungen ihrer Kirche. Doch der Abseitstrend in Lehrfragen ist ebenso unübersehbar wie der Mitgliederschwund. Seit 1970 – damals waren noch 92 Prozent der Lateinamerikaner katholisch – verliert die Papstkirche an Substanz. Und schneller noch als der Bevölkerungsanteil von religiös Ungebundenen (mittlerweile 8 Prozent) nahmen protestantische Christen zu: von 4 auf 19 Prozent.
Sympathien mit Pfingstkirchen
Für deren Zulauf sehen die Forscher unterschiedliche Gründe. 65 Prozent der Protestanten geben an, Mitglied oder Sympathisant einer Pfingstkirche zu sein. Diese Richtung knüpfe an Formen indigener Spiritualität an wie direkten Kontakt zu einer geistigen Welt, Heilungswesen und Zungenrede. Ein anderer möglicher Faktor ist der Untersuchung nach der Stellenwert von sozialem und wirtschaftlichem Erfolg als Zeichen der Gnade in Pfingstkirchen.
In Paraguay verlor die katholische Kirche seit 1970 nur 5 Prozentpunkte in der Bevölkerung, dafür in Honduras 47 Prozentpunkte. Und diese Entwicklung, so legen die Zahlen des Pew Research Center nahe, dürfte sich beschleunigen. Unter anderem zeigen junge Protestanten zwischen 18 und 34 eine höhere Kirchenbindung als gleichaltrige Katholiken: In Brasilien bezeichnen sich 52 Prozent der Protestanten als sehr religiös, gegenüber 20 Prozent der Katholiken; ähnlich ist es in Bolivien, Puerto Rico und Panama.
Zudem sind Protestanten offenbar missionarischer. 38 Prozent peruanischer Protestanten erklärten, wenigstens einmal in der Woche über ihren Glauben zu sprechen; bei Katholiken waren es 7 Prozent. In Brasilien liegt das Verhältnis bei 43 zu 14 Prozent, in Mexiko bei 31 zu 8 Prozent.
Auf einen Franziskus-Effekt ist für einen Gegentrend nur bedingt zu zählen. Unter Lateinamerikas Ex-Katholiken, von Argentinien und Uruguay abgesehen, genießt der Papst bei weniger als der Hälfte ein positives Ansehen – und ein noch geringerer Teil erwartet von ihm größere Änderungen.
Von Burkhard Jürgens (KNA)