Das Blatt wendet sich
Ende der 70er Jahre wendete sich das Blatt für die Tutsi. „Die verhasste und von den Kolonialherren verhätschelte Minderheit musste nun herhalten für Ablenkungsmanöver der Regierung“, sagt Auer-Frege. Sie wurden zum Sündenbock für Misswirtschaft und politisches Versagen in dem Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Es gab immer mehr Spannungen und erste Pogrome gegen die Tutsi.
Wie aber konnte es 1994 zum Völkermord kommen? „Man muss sich vorstellen, die Bevölkerung hatte keine Zukunftsperspektiven. Die Menschen waren auf Landwirtschaft beschränkt, von der sie gerade so überleben konnten“, sagt Auer-Frege, die selbst in Ruanda gelebt hat. „Auf der anderen Seite herrschte eine große Obrigkeitshörigkeit. Gehorsam, militärische Ausbildung war immer Teil der ruandischen Kultur.“
Das einzige Medium, das es landesweit gab, war das Radio und das wurde Jahrzehnte für Propaganda gegen die Tutsi missbraucht. „Da wurden sehr gezielt Klischees verbreitet und die Tutsi als massive Bedrohung dargestellt.“ Verstärkt wurde dieses Bild durch Angriffe der Tutsi-Miliz „Ruanda Patriotic Front“ (RPF), die sich im Ausland aus Exil-Tutsi gebildet hatte und von Norden aus ins Land einfielen.
Bis heute ist unklar, wer am 6. April 1994 das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Júvenal Habyarimana abgeschossen hat. „Es ist aber wahrscheinlich, dass es sein eigener Hutu-Clan war, der ihm vorgeworfen hatte, nicht radikal genug zu sein und sich nicht gegen diese Tutsi-Invasion zu wehren.“ Sicher aber ist, das Gemetzel, welches dann folgte und dem etwa 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu zum Opfer fielen, war von langer Hand geplant.
Von Janina Mogendorf