Hagemann: Migranten, die als Wanderarbeiter ihr Geld verdienen, sind häufig betroffen. Aus finanzieller Not verlassen sie ihre Heimat, um in anderen Ländern eine Arbeit zu finden. Das Problem dabei ist, dass viele der Migranten die Arbeits- und Rechtsverhältnisse, die Sprache und Kultur des jeweiligen Landes nicht kennen. Das macht es für sie schwer, ihre Rechte gegenüber ihren Arbeitgebern durchzusetzen. Eine weitere gefährdete Gruppe sind Jugendliche. Diese stehen weltweit vor einer Perspektivlosigkeit: entweder, weil sie nach ihrem Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz erhalten oder weil sie später als hoch ausgebildete Fachkräfte trotzdem keinen Job finden.
Frage: In ihrer Stellungnahme schreiben Sie, dass Arbeitsmigration ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Armut ist. Wie haben Sie das gemeint?
Hagemann: Die Migranten arbeiten in fremden Ländern und schicken das meiste Geld, das sie verdienen, zurück zu ihren Familien. In der Regel wird dort das Geld sinnvoll investiert: in die Ausbildung der Kinder oder in die Gesundheitsvorsorge. So gesehen sind diese Rücküberweisungen eine Möglichkeit für die Familien, der akuten Armut zu entkommen. Ein weiterer Vorteil ist das Fachwissen, das die Migranten während ihrer Arbeit im Ausland sammeln, zum Beispiel in Bezug auf den Umgang mit neuen Technologien. Diesen Erfahrungsschatz können sie dann nach der Rückkehr in ihre Heimat wieder gut einsetzen.
Die Arbeitsmigration hat allerdings auch Schattenseiten. Denn für das Herkunftsland entstehen hohe gesellschaftliche und finanzielle Kosten. Wenn ein oder sogar manchmal beide Elternteile die Familie verlassen und ihre Kinder in der Fürsorge von Verwandten oder Freunden zurückbleiben, gerät das Sozialgefüge der Gesellschaft in eine Schieflage. Darüber hinaus steigt durch die Arbeitsmigration das Risiko, dass auf dem nationalen Markt primär für das Ausland ausgebildet wird und die eigene Förderung der Beschäftigung im Inland auf der Strecke bleibt.
Frage: Wie setzt sich die Kirche für die Rechte von Arbeitsmigranten und Wanderarbeitern ein?
Hagemann: Kirche und Gewerkschaften arbeiten häufig gemeinsam daran, dass die internationalen Standards zum Schutz von Migranten auch hier in Deutschland ratifiziert werden. Mit politischen Gesprächen, Stellungnahmen, Konferenzen und Positionspapieren versuchen wir, auf die genannten Missstände aufmerksam zu machen. Und es lohnt sich: Anfang Juni hat die Bundesregierung – unter anderem auf Drängen der Kirche – die ILO-Konvention für menschenwürdige Arbeit von
Hausangestellten
anerkannt. Einen solchen Erfolg erhoffen wir uns auch in Bezug auf die UN-Konvention für Wanderarbeiter und deren Familien, die von Deutschland noch nicht ratifiziert wurde.
Frage: Neben der Forderung nach menschenwürdiger Arbeit weltweit – welche zentralen Themen müssen in der Entwicklungsagenda nach 2015 noch aufgegriffen werden?
Hagemann: Ganz klar die Frage der Hungerbekämpfung. Darüber hinaus müssen Maßnahmen erarbeitet werden, wie man unsere endlichen Ressourcen weiterhin schützt und die Welt für kommende Generationen lebenswert erhält. Es ist sehr wichtig, diese Debatten um Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung zusammenzubringen.
Das Interview führte Lena Kretschmann.