Frage: Wie sieht es bei den Christen aus, die nach Israel einwandern?
Schnabel: Diese christlichen Migranten haben noch mal ganz andere Probleme als die einheimischen Christen. Es gibt Arbeitsmigranten aus Sri Lanka, Indien, Philippinen, und Flüchtlinge aus Afrika. 60.000 von ihnen sind registriert, die Dunkelziffer ist aber höher. Denn viele tauchen unter, aus Angst, zurückgeschickt zu werden. Sie sind von der Gunst ihres Hauptarbeitgebers abhängig und nicht selten kommt es da auch zu häuslicher und sexueller Gewalt. Das sind zum Teil Martyrien, die diese Frauen erleben. Sie werden schwanger und zum Teil sind die Kinder früher auch gestorben. Dank der Verbesserung der Arbeit des Zentrums für die Migrantenpastoral – dem wir als Dormitio 2015 den Mount-Zion-Award verliehen haben – ist das zum Glück nicht mehr der Fall!
Frage: Ist es trotz ihrer Heterogenität und Minderheitenstellung möglich, dass Christen im Heiligen Land als Vermittler auftreten?
Schnabel: Ich finde, wir müssten den Christen im Heiligen Land noch viel stärker klar machen, dass wir eine transnationale Größe sind, die über Nationalismen hinausgeht. Christ wird man durch die Taufe. Zum Lateinischen Patriarchat gehört Zypern, Israel, Palästina und Jordanien! Beim Weltjugendtag rollen einige die Palästina- und andere die Israelflagge aus. Und natürlich hat ein Zypriot als Mitglied der EU andere Fragestellungen als der Flüchtling in Jordanien oder die philippinische Gastarbeiterin. Aber sie sind vereint durch die Taufe. Bevor wir zwischen Juden und Christen Brücken bauen, haben wir so viele spannende Hausaufgaben in unseren eigenen Reihen zu erledigen. Wenn wir die lösen, dann werden wir ein Leuchtturm für die Anderen sein.
Frage: Soeben ist Donald Trump als US-Präsident vereidigt worden. Wie schauen die politischen und religiösen Kräfte im Land auf den neuen Präsidenten?
Schnabel: Donald Trump sagt zunächst einmal „America first“. Viele politische Beobachter sagen da aber: Israel sollte sich nicht zu früh freuen. Denn Trump sagt schließlich nicht „Israel first“. Klar, das Fundament der israelischen Außenpolitik ist eine gute Beziehung zu Amerika. Und die ganz Rechten mögen sich sicher auf Trump freuen und sagen: Jetzt legen wir richtig los. Dass der Bürgermeister von Jerusalem begeisterter Trump-Fan ist und eine Welcome-Trump-Kampagne gestartet hat, überrascht nicht. Aber viele politische Beobachter warnen vor der Annahme, Israel habe mit Trump jetzt einen Freifahrtschein für jede Politik. Einer der wichtigen Berater von Donald Trump ist ja auch maronitischer Christ, der auch noch mal seine eigene Sicht auf die Dinge hat.
Das Interview führte Claudia Zeisel
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